Die Flotte von Charis - 4
keine Gedanken zu machen, deswegen wird es mir ganz gewiss keine schlaflosen Nächte bereiten, ob wir nun einen völlig Unschuldigen eines versuchten Attentats bezichtigen oder nicht! Und auf das Volk wird es sich in genau der Art und Weise auswirken, die Irys gerade beschrieben hat. Abgesehen davon, dass es das Leben eines treuen Dieners gekostet hat, mag sich das für uns sogar noch als sehr nützlich herausstellen.«
»Solange wir uns nicht völlig der Möglichkeit verschließen, dass es eben nicht Cayleb war, Mein Prinz«, merkte Coris warnend an.
Fragend hob Hektor die Augenbraue, und der Graf zuckte mit den Schultern.
»Im Großen und Ganzen stimme ich ganz mit Euch und Ihrer Hoheit überein«, sagte er. »Vor allem, was die politischen Konsequenzen dieses Zwischenfalls betrifft. Aber selbst wenn sich das für uns noch als ›nützlich‹ erweisen sollte, dürfen wir doch nicht vergessen, dass an diesem Nachmittag irgendjemand wirklich versucht hat, Euch zu töten, Mein Prinz. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass man es erneut versuchen wird, und ich möchte nicht, dass irgendjemand von uns − vor allem natürlich nicht meine Ermittler und ich − sich von irgendwelchen möglichen Verdächtigen oder Ermittlungswegen ablenken lassen, bis wir genau wissen, wer es getan hat.«
»Natürlich, Phylyp«, pflichtete Hektor ihm bei. »Natürlich. Aber in der Zwischenzeit …« − er verzog die Lippen zu einem unschönen Lächeln − »sollten wir uns doch darüber Gedanken machen, wie wir diesen kleinen Zwischenfall dazu nutzen können, Caylebs Ruf möglichst nachhaltig zu schädigen, nicht wahr?«
.IX.
Hafen Tellesberg, Königreich Charis
Merlin fragte sich, ob Cayleb wohl bewusst war, dass er immer und immer wieder langsam und rhythmisch das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte, während er dort am Pier stand, umringt von einem ganzen Meer aus Bannern. Ganz zu schweigen von mehreren Dutzend Royal Guardsmen und Ehrengarden, die sowohl der Royal Charisian Navy als auch den Royal Charisian Marines angehörten; ein Großteil seines Königlichen Staatsrates und mindestens die Hälfte des Oberhauses von Charis waren anwesend − deutlich erkennbar an ihrem überreichlichen Juwelenschmuck −, geradezu eine beachtliche Abordnung des Unterhauses und alle Bürger der Hauptstadt, denen es irgendwie gelungen war, einen Platz hier am Pier zu erhaschen, zu ergaunern, zu kaufen oder sich zu erkämpfen, um die wichtigste Einfahrt eines Schiffes in den Hafen von Tellesberg seit mindestens fünfzig Jahren miterleben zu können.
Wie es sich für eine Leibgarde geziemte, stand Merlin vermeintlich teilnahmslos hinter dem jugendlichen König von Charis und hielt wachsam Ausschau nach möglichen Bedrohungen für den Regenten. Es ist doch gut, so ging es ihm durch den Kopf, während er den Salutschüssen der Hafenbatterien lauschte und zuschaute, wie dichte Rauchschwaden diesen Gruß der Geschütze begleiteten, dass bislang niemand die Art Artillerie perfektioniert hat, für die Seamount gerade die ersten Vorversuche anstellt. Ein einziges Haubitzen-Geschoss, geradewegs in die Menschenansammlung hier am Pier hineingefeuert, hätte katastrophale Folgen für die Zukunft von ganz Safehold.
Andererseits natürlich …, verfolgte Merlin diesen Gedanken noch ein wenig weiter, und beträchtliche Befriedigung durchfuhr ihn, als die geruderten Schlepper die stattliche Galeone längsseits zum Kai brachten; das königsblaue Banner mit dem silbernen Todeswal von Chisholm flatterte im Wind. Wenn die ›Vierer-Gruppe‹ nur wüsste, wer hier in diesem Hafen an Land gehen soll: Das wird für einige doch deutlich mehr katastrophale Folgen haben als für andere.
Es fiel Merlin schwer, nicht über das ganze Gesicht zu grinsen, als er Cayleb sah. In diesem Augenblick drehten sich die Gedanken des Königs offensichtlich nicht um politische und militärische Konsequenzen für die Zukunft − so sehr er auch dafür gelobt werden musste, sich auf genau diese Aspekte des Heiratsantrags konzentriert zu haben, als er dem Parlament davon berichtete. Es war deutlich zu erkennen, dass zumindest in diesem Augenblick jegliche Gedanken an diese Konsequenzen in den Hintergrund getreten waren. Hier und jetzt beobachtete Merlin einen sehr jungen Bräutigam, der kurz davor stand, zum ersten Mal in seinem Leben seiner Zukünftigen zu begegnen. Sharleyan von Chisholm zwang sich dazu, ruhig und würdevoll auf dem hochgelegenen Achterdeck ihrer
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