Die Flotte von Charis - 4
Cayleb miteinander umgingen, deutlich über das normale Verhältnis eines Monarchen seinem Diener gegenüber hinausging. In mancherlei Hinsicht erinnerte es Sharleyan an ihre eigene Art, sich in Gegenwart von Edwyrd Seahamper zu verhalten, doch Edwyrd diente ihr schon als persönliche Leibgarde, seit sie kaum zehn Jahre alt gewesen war, während die ganze Welt wusste, dass Seijin Merlin erst vor weniger als drei Jahren Caylebs persönliche Leibwache geworden war. Abgesehen davon gab es da etwas, das noch über das wahrhaft enge Band zwischen ihr und Edwyrd hinausging. Sharleyan hatte es gelernt, die Beziehungen zwischen verschiedenen Personen zu analysieren und rasch zu erkennen, auf wessen Seite jemand stand, was sehr wohl den Unterschied bedeuten konnte, den Thron zu behalten oder zu einer abgesetzten − und möglicherweise auch beseitigten − ungewünschten, kindlichen Thronerbin zu werden. Das war einer der Gründe, warum es sie so ärgerte, nicht genau benennen zu können, welcher Art dieses besondere Verhältnis zwischen Cayleb und diesem Seijin war, und die Vorsicht gebot, dieses derzeitige Unvermögen so bald als möglich zu beseitigen.
»Was gibt es, Merlin?«, fragte Cayleb jetzt.
»Erzbischof Maikel ist soeben im Palast eingetroffen, Euer Majestät«, erwiderte der Seijin. »Er wird von einem unerwarteten Gast begleitet und erbittet einige Minuten Eurer Zeit.«
Innerlich spitzte Sharleyan die Ohren. Der Seijin hatte das Wort ›unerwartet‹ in sonderbarer Art und Weise überbetont. Und dann wurde ihr bewusst, dass auch Caylebs Reaktion auf diese Überbetonung etwas Sonderbares hatte. Es war fast, als sei er ganz besonders überrascht, das zu hören.
»Wenn Ihr mit dem Erzbischof sprechen müsst, so verstehe ich das selbstverständlich, Cayleb«, sagte sie und schob ihren Sessel vom Esstisch zurück. »Gewiss hat die Zeit, die wir heute miteinander verbracht haben, Euch schon von allzu vielen Dingen abgehalten, die Ihr noch erledigen müsst. Also ist es wohl an der Zeit …«
»Nein«, fiel er ihr ins Wort und schüttelte heftig den Kopf. »Das, was ich vorhin gesagt habe, meine ich wirklich ernst. Wenn der Erzbischof der Ansicht ist, irgendeine Kirchenangelegenheit erfordere ein Gespräch unter vier Augen, so ist das etwas anderes, aber ich habe Euch nicht um Eure Hand gebeten, um nur einen weiteren Namen auf die Liste jener Personen setzen zu können, denen ich misstraue. Wenn wir diesen Bund der Ehe wirklich einzugehen wünschen, um ein geeintes Reich zu gründen, dann wäre der richtige Zeitpunkt, damit zu beginnen, genau hier und jetzt.«
»Selbstverständlich«, murmelte Sharleyan leise. Dann ließ sie sich wieder in ihren Sessel sinken und hoffte, ihr zukünftiger Gemahl bemerke, wie dankbar sie über seine Reaktion war. Zu sagen, man vertraue jemandem, war nur allzu leicht, doch sie hatte schon sehr früh in ihrem Leben feststellen müssen, dass es ungleich schwieriger war, jemandem tatsächlich zu vertrauen und das auch unter Beweis zu stellen.
Und ich weiß wie … notwendig es sein kann, dachte sie und verkniff sich ein Lächeln. Zu lernen, nicht nur das Vertrauen zu teilen, sondern auch die Autorität, wird schwer werden, so sehr wir beide das auch wollen. In so vielerlei Hinsicht!
»Dann bitten Sie den Erzbischof, sich zu uns zu gesellen«, sprach Cayleb weiter, nun wieder dem Seijin zugewandt.
»Selbstverständlich, Euer Majestät.«
Erneut verneigte sich Captain Athrawes, dann zog er sich zurück. Kurz darauf wurde die Tür ein weiteres Mal geöffnet, und der Seijin erschien mit Erzbischof Maikel und einer schlicht gekleideten Frau, die gewiss zwanzig oder mehr Jahre älter war als Sharleyan.
»Erzbischof Maikel, Eure Majestäten«, erklärte Seijin Merlin.
»Majestät.« Staynair verneigte sich vor Cayleb, dann auch vor Sharleyan. »Majestät«, wiederholte er, und Sharleyans Mundwinkel zuckten, als sie an das denken musste, was sie gerade eben noch mit Cayleb besprochen hatte. Doch dann richtete sich der Erzbischof auf, und der Ernst in seinem Blick vertrieb jeglichen Anflug von Leichtfertigkeit ihrerseits.
»Was gibt es, Maikel?« Auch Caylebs Stimme klang jetzt scharf und beunruhigt; auch er hatte die Stimmung des Erzbischofs sofort erkannt.
»Euer Majestät, das Schiff Ihrer Majestät war nicht das Einzige, das heute in Tellesberg eingetroffen ist, und ich fürchte, unsere schlimmsten Befürchtungen über das Schicksal Erzbischof Erayks wurden nun
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