Die Flotte von Charis - 4
sie auch sein mag. So sehr ein jeder Regent − oder auch eine Regentin − auch ersehnen mag, genau das zu vermeiden.«
Mehrere Sekunden lang blickte Cayleb sie nur schweigend an, dann zuckte sein Kopf kurz; es mochte ein angedeutetes Nicken sein. Sharleyan hatte das sonderbare Gefühl, als gelte diese Geste nicht ihr, sondern irgendjemand anderem, der in diesem Augenblick nicht anwesend war, und doch wandte Cayleb niemals den Blick von ihr ab.
»Ich habe die Vereinigung von Charis und Chisholm vorgeschlagen, weil es mir eine militärische Notwendigkeit schien«, erklärte er. »Mir lagen natürlich Berichte über Euch und Euren Hof vor, ebenso wie, so vermute ich, es Euch im Hinblick auf Charis ergangen ist. Aufgrund dieser Berichte hatte ich gehofft, nicht nur ein Bündnis mit Eurem Königreich eingehen zu können, sondern tatsächlich in Euch auch eine Verbündete zu finden.« Seine Nasenflügel bebten. »Ich muss Euch sagen, Sharleyan, obschon wir uns erst so kurze Zeit kennen, ist es doch offensichtlich für mich, dass die Berichte über Eure Weisheit und Euren Mut Euch mitnichten gerecht werden.«
»Tatsächlich?« Sharleyan mühte sich, möglichst unbekümmert zu klingen, während sie das Gesicht ihres Zukünftigen so gut zu ergründen vermochte, wie das in der spärlichen Beleuchtung der Galerie nur möglich war. Dann lachte sie leise. »Ich habe zufälligerweise über Euch gerade eben ziemlich genau das Gleiche gedacht. Ich hoffe, das ist keine dieser Situationen, in denen zwei zögerliche Verehrer versuchen, aus ihrer Situation das Beste zu machen.«
»Sollte sich jemand von uns in dieser Position wähnen, Meine Lady«, erwiderte er und verneigte sich würdevoll, »dann müsst das Ihr sein. Nun, nachdem ich Euch gesehen und kennengelernt habe, bin ich, das kann ich Euch versichern, zu dem Schluss gekommen, dies sei eine der besten Ideen gewesen, die mir jemals gekommen ist. In vielerlei Hinsicht.«
Er richtete sich wieder auf, und ein wohliger Schauer lief Sharleyan über den Rücken angesichts der Offenheit, mit der er hier gezeigt hatte, dass er sie durchaus auch begehrte.
Erneut drückte sie seinen Arm, dann richtete sie den Blick wieder auf das schlafende Tellesberg, während sie versuchte, sich ihrer eigenen Gefühle klar zu werden. Als Tochter eines Königs, und dann selbst als Königin, hatte Sharleyan Tayt schon vor langer Zeit akzeptiert, dass für sie nur eine Staatsheirat infrage kommen würde. Ebenso war ihr bewusst gewesen, dass für sie, als Königin eines Reiches, das bislang nur wenig Toleranz einer Regentin gegenüber gezeigt hatte, eine Eheschließung völlig eigene Gefahren barg. Und doch lag es eindeutig in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es eines Tages einen legitimen, anerkannten Erben ihres Throns geben würde, um die Thronfolge sicherzustellen. Angesichts derart vieler Erfordernisse, Gelegenheiten und Bedrohungen, die es säuberlich auszubalancieren galt, hatte es in ihrem Leben keinen Spielraum gegeben, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie den Mann, mit dem sie letztendlich den Bund der Ehe einginge, jemals würde lieben − oder auch nur mögen − können.
Und dann das hier. Vor kaum fünf Monaten war sie sich sicher gewesen, Charis − und damit auch Cayleb − seien dem Untergang geweiht, und sie selbst wäre gezwungen, Teil dieses Mordes an einem ganzen Königreich zu sein. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich vorstellen können, eines Tages darüber nachzudenken, ob sie den Monarchen eben dieses Reiches würde ehelichen wollen. Ihr eigenes Königreich unwiderruflich mit dem von Charis zu verbinden und damit auch Teil jener Rebellion gegen die tyrannische Autorität von Mutter Kirche zu werden. Und das Schicksal zu erleiden, das diese Rebellion letztendlich herbeiführen würde. Selbst jetzt noch gab es Momente, in denen sie sich fragte, welcher Wahnsinn sie wohl dazu getrieben hatte, eine derartige Vereinigung auch nur in Erwägung zu ziehen.
Doch es waren immer nur Momente, und sie wurden stetig seltener.
Das liegt an Cayleb selbst, dachte sie. Ich habe so viel Zynismus erlebt, so viel sorgsames Herumlavieren, um geeignete Positionen zu erlangen, und so viele Jahre meines Lebens damit verbracht, stets Ausschau nach dem verborgenen Dolch in der Hand meiner angeblichen Freunde zu halten. Doch Cayleb scheint Zynismus nicht einmal zu kennen. Das ist vielleicht von allem das Bemerkenswerteste. Er glaubt an Verantwortung und Pflichten, an
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