Die Flotte von Charis - 4
der Mannschaft.
Denke ich.
Der Gedanke brachte ihn dazu, die Lippen zu einem kurzen Grinsen zu verziehen, doch seine Belustigung währte nur kurz, dann kehrten seine Gedanken wieder zu seinen Sorgen zurück, während er über das dunkle Wasser des Hafenbeckens hinweg zu den matten Lichtern am Ufer von Ferayd hinüberblickte.
Es ist mir ganz egal, was sie sagt, erklärte er sich selbst fest. Bei der nächsten Reise bleibt Lyzbet zu Hause. Und Greyghor auch.
Er rechnete nicht damit, dass es ihm leichtfallen werde, diese Entscheidung auch durchzusetzen. Wie zumindest ein Drittel, wahrscheinlich eher die Hälfte, aller Schiffe der charisianischen Handelsflotte, befanden sich auch die Wave und ihr Schwesternschiff, die Wind, in Familienbesitz. Edmynd und sein Bruder Zhorj fungierten als Kapitän beziehungsweise Erster Offizier der Wave, und Edmynds Schwager Lywys sowie Edmynds jüngster Bruder Mychail hatten die gleichen Posten an Bord der Wind inne. An Bord derartiger Schiffe stellten Familienmitglieder meist den Kern der Mannschaft dar − und Edmynds Gemahlin Lyzbet fungierte als Zahlmeisterin an Bord der Wave. Es gab Gründe für diese Vereinbarung, und unter gewöhnlichen Umständen, wenn ein Mann sich nur um Dinge wie den Wind, das Wetter, möglichen Schiffbruch und das Ertrinken machen musste, war diese Vereinbarung nichts, was Edmynd den Schlaf raubte.
Aber derzeit herrschten keine gewöhnlichen Umstände. Ganz und gar nicht.
Mit beiden Händen stützte er sich auf die Reling und trommelte unruhig mit den Fingern, während er mit gerunzelter Stirn in den Abend hinausblickte. Seit diesem völlig grundlosen Angriff der ›Vierer-Gruppe‹ auf Charis hatten die Spannungen immer weiter zugenommen. Na, das war ja auch nur zu verständlich! Wenn der Großinquisitor persönlich der Zerstörung eines ganzen Königreiches zumindest Vorschub leistete, dann konnten sich Handelsschiffe aus eben jenem Königreich wohl darauf einstellen, sich möglicherweise schon bald in einer ›unangenehmen Lage‹ zu befinden − und das war noch milde ausgedrückt.
Dennoch hatte auf Edmynds erster Fahrt nach der Schlacht im Darcos-Sund längst nicht alles so unsicher gewirkt. Bei dieser Reise hatte er Lyzbet zu Hause gelassen − nicht ohne einige Streitereien, nach denen er sich nach irgendetwas wirklich Friedlichem gesehnt hatte, beispielsweise einem Hurrikan oder dergleichen −, doch ansonsten hatte er eigentlich nicht mit Schwierigkeiten gerechnet. Die Strecke Tellesberg-Ferayd hatte die Wave schon oft zurückgelegt, und die Händler und Vertreter, mit denen er üblicherweise im Königreich Ferayd Kontakt hatte, schienen sogar erleichtert gewesen, ihn wiederzusehen. Angesichts der Unmengen an Waren, die sich in den Lagerhäusern von Ferayd aufgestaut hatten und auf die Umladung warteten, ganz zu Schweigen von all den Händlern, die Waren aus Charis erwarteten, deren Lieferung sich durch den Krieg verzögert hatte, hätte ihn das eigentlich gar nicht so sehr überraschen − oder erleichtern − sollen.
Bedauerlicherweise hatte es auch den Gedanken nahegelegt (genau wie Lyzbet es auch angemerkt hatte − ganz erwartungsgemäß), dass es keinerlei Grund für sie gab, auf der nächsten Überfahrt nicht mitzukommen. Und genau das hatten sie und Greyghor, ihr ältester Sohn, auch getan. Und nun wünschte Walkyr sich, sie doch wieder zu Hause gelassen zu haben.
Das liegt an diesem Schreiben des Erzbischofs, dachte er unglücklich. Gegen nichts von dem, was er darin gesagt hat, kann ich irgendetwas einwenden, aber daran liegt es!
Als er sich zum letzten Mal auf dem Weg zu diesem Königreich befunden hatte, war das Schreiben noch auf dem Weg nach Zion gewesen. Mittlerweile war es eingetroffen, und die Reaktion der Kirche darauf war … nicht allzu freundlich. Dass zugleich, soweit Edmynd das beurteilen konnte, sämtliche Häfen auf dem Festland mit tausend gedruckten Abschriften eben dieses Schreibens überflutet worden waren, hatte die Lage nicht gerade verbessert. Vorher hatten alle irgendwie noch so tun wollen, als gehe das Geschäft seinen üblichen Gang, der Angriff auf Charis sei tatsächlich von den rein weltlichen Feinden des Königreiches ausgegangen − und natürlich von den ebenso weltlichen ›Rittern der Tempel-Lande‹. Jetzt, da Erzbischof Maikel seine Kampfansage so öffentlich verkündet hatte, war das nicht mehr möglich. Schlimmer noch: Was wirklich geschehen war, hatte man in den offiziellen Berichten der Kirche
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