Die Flotte von Charis - 4
völlig verzerrt dargestellt … was zu dem nicht überraschenden Ergebnis führte, zahlreiche Bürger des Festlandes waren nun bereit anzunehmen, es sei Charis gewesen, das bislang über die Geschehnisse Lügen verbreitet hatte.
Die meisten Händler von Ferayd waren immer noch begierig, charisianische Galeonen zu sehen und charisianische Waren in Empfang zu nehmen, doch über die Charisianer selbst freuten sie sich nicht mehr so sehr. Oder vielleicht ging es ihnen darum, selbst möglichst nicht in Gegenwart von Charisianern gesehen zu werden. Zweifellos lag das daran, dass jemand, von dem bekannt wurde, mit Personen in Kontakt zu stehen, die offiziell zu Feinden der Kirche ernannt waren, stets Gefahr lief, sich den Unmut der Obrigkeit zuzuziehen. Aber es gab noch einen Unterton, eine bösartige Feindseligkeit, die nicht das Geringste mit der Obrigkeit zu tun hatte, und doch schwärte sie immer weiter unter der Oberfläche.
In jeder Hafenstadt gab es jene, die der anscheinend allgegenwärtigen Handelsflotte von Charis ihren Wohlstand und ihre Stärke verübelten. Einheimische Schiffseigner, die sich darüber ärgerten, dass die Charisianer jene Waren transportierten, die rechtmäßig ›ihnen‹ zustanden. Seeleute vor Ort, die der Ansicht waren, es sei einzig und allein den Charisianern zu verdanken, wenn wieder einmal niemand sie anheuern wollte. Handwerker, zu deren Unmut die Flut charisianischer Waren die Preise unterboten, die sie selbst verlangen konnten. Selbst Schiffsbauer vor Ort, die sich einfach darüber ärgerten, dass ›jeder wusste‹, charisianische Schiffe waren einfach die besten der Welt … und entsprechend bei anderen Herstellern kauften. Irgendjemanden gab es immer, und zu diesem Personenkreis kam jetzt auch noch die ›Rechtfertigung‹ (nicht dass auch nur einer von ihnen jemals einen weiteren Grund oder eine Rechtfertigung benötigt hätte, zumindest nicht nach Walkyrs eigenen Erfahrungen), dass ja offensichtlich alle Charisianer Ketzer waren, die es darauf anlegten, Mutter Kirche zu zerstören.
In den Hafenschänken war es zu einigen unschönen Zwischenfällen gekommen, und einer Gruppe charisianischer Matrosen hatte man in einer Seitengasse aufgelauert und sie übel verprügelt. Die Stadtwache hatte sich auch nicht gerade ein Bein ausgerissen herauszufinden, wer für diese Angriffe denn nun verantwortlich war. Die Kapitäne der charisianischen Schiffe, die sich noch im Hafengebiet befanden und darauf warteten, ebenfalls ihre Waren löschen zu können, sorgten in einer Art stillschweigender Vereinbarung mittlerweile dafür, dass ihre Männer über Nacht an Bord blieben, statt ihnen den an sich traditionellen Landgang zu gestatten. Viele von diesen Kapitänen − darunter auch Walkyr selbst − hatten insgeheim auch Vorsichtsmaßnahmen für den Fall getroffen, dass es hier am Ufer zu Ausschreitungen kam, auch wenn er hoffte, dass es niemals dazu käme. Andererseits war er sich wirklich nicht sicher, dass sich dies vermeiden ließe … und es sagte doch viel über die an Bord herrschende Spannung aus, dass die Mannschaft sich nicht einmal über die Beschränkungen beschwerte, die ihr Captain ihnen auferlegte.
Nein, sagte er sich fest. Wenn es mir gelingt, Lyzbet und Greyghor wieder nach Hause zu bringen, dann bleiben die verdammt noch mal auch dort. Da soll Lyzbet ruhig einen Tobsuchtsanfall nach dem anderen kriegen − und meinetwegen auch mit Töpfen um sich werfen −, aber ich werde nicht zulassen, dass ihr irgendetwas geschieht, falls diese Lage hier noch weiter außer Kontrolle gerät.
Sein Verstand scheute schlichtweg die Vorstellung, Lyzbet könne irgendetwas widerfahren, und so holte er tief Luft und blickte mit einem tief empfundenen Gefühl der Entschiedenheit zum mondlosen Nachthimmel auf.
Natürlich, sagte er sich noch, eilt es ja auch nicht, ihr diese Entscheidung mitzuteilen, bevor wir wieder zurück in Tellesberg sind, oder nicht? »Also gut«, grollte Sergeant Allayn Dekyn, »hat noch irgendjemand eine Frage auf die letzte Minute?«
Wie zu erwarten war, meldete sich niemand zu Wort. Und deswegen ist es ebenso zu erwarten, ging es Dekyn durch den Kopf, dass irgendein Idiot irgendetwas eben doch nicht ganz verstanden hat und deswegen unbedingt noch einmal hätte nachfragen müssen. So lief das immer, jeder Sergeant kannte das schon.
Ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die heute Nacht nur darauf lauerten, schiefzugehen.
Dekyn verzog das Gesicht und blickte von
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