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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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welche sich unmittelbar neben der in die Wand eingelassenen Schlafstatt befand, hinauf auf den Heuboden.
    Der Raum unter dem Strohdach der Hütte war klein, aber dennoch so gut wie leer. In einer Ecke lagerten wenige Rüben, und auf einem klapprigen Holzregal faulten, obgleich erst im Herbst gepflückt, winzige Äpfel vor sich hin. Das war alles, denn die Vorräte an eigenem Korn waren nie der Rede wert gewesen und längst verbraucht. Stumm schüttete Marie die Roggenkörner auf dem Boden aus. Sie waren viel zu zeitig geerntet und gedroschen worden, teilweise hingen sie noch an den Ähren, welche sich nun auf den hölzernen Dielen verteilten. Dennoch gab es keinen Grund zur Klage: Getrocknet, gemahlen und gestreckt, würde diese Gabe ausreichen, um reichlich Brei zu kochen und womöglich auch einen Laib Brot zu backen. Vielleicht gab es ja Hoffnung, vielleicht folgten tatsächlich noch mehr Spenden, und sie würden allesamt wohlbehalten über den Winter kommen.
    Ein wenig Zuversicht keimte in ihr auf, als sie langsam zu der kleinen Dachluke ging und hinaus in die Dunkelheit blickte, wo sich der volle, helle Mond seinen Weg hinter dicken Wolken hervorzubahnen versuchte. Zuversicht nicht nur der Spenden des Grundherrn wegen, sondern auch deshalb, weil sie wusste, dass ihr Verfolger des Winters gewiss nicht umherstreifen würde, um sie ausfindig zu machen.
    Fips hasste Schnee und Kälte. Als sie noch bei ihm war, hatte er mit Marie in einem jeden Jahr zwischen Dezember und März die schützenden Mauern einer Stadt aufgesucht, wo sie sich mit Diebereien, Kupplereien und Betrügereien einigermaßen über Wasser gehalten hatten.
    » In den nächsten Monaten ist Ruhe « , flüsterte sie leise, noch immer den Blick auf den Mond gerichtet, dessen Licht nun dabei war, den Kampf gegen die Wolken aufzugeben.

IV
    D er Pfarrer erfuhr bald von den Mönchen aus dem nahen Kloster, dass man das, was seit dem Weihnachtsfest im Dorf sein Unwesen trieb, als » ignis sacer « , heiliges Feuer, bezeichnete. Und er hatte auch gesagt bekommen, wen man gegen dieses Übel anrufen musste, nämlich den heiligen Antonius. Einst in der Wüste vom Teufel in Versuchung geführt, hatte Antonius den Höllenfürsten schließlich bezwungen und galt nun als Schutzpatron gegen das brennende Leiden, welches in diesem ohnehin entbehrungsreichen Winter zusätzlich so zahlreiche Menschen quälte und einige gar zu Tode brachte.
    Mehr als ein Dutzend Dorfbewohner war bereits befallen. Begonnen hatte es mit einem Kitzeln in Händen und Füßen, dann hatte die Haut sich gerötet, brannte, juckte, Blasen bildeten sich am ganzen Körper, wie Feuer zog es über den Leib, trieb die Befallenen schier in den Wahnsinn und färbte bei einigen Finger, Ohren und Nasen schwarz, bis diese schließlich abfielen. Niemand wusste zu sagen, woher die entsetzliche Heimsuchung kam. Es musste eine Strafe sein, eine Strafe Gottes, ein weiteres Vorzeichen des nahenden großen Endes, oder aber die Rache des heiligen Antonius, der sich bis dato nicht genügend verehrt gefühlt hatte. Zur Sicherheit betete man nun täglich zu ihm, morgens, mittags und abends fanden Andachten in der Kirche statt, man machte Prozessionen zu den Häusern der Kranken und besprenkelte sie mit Weihwasser.
    Ratsamer wäre es gewesen, die Roggenfelder mit Weihwasser zu besprenkeln, denn sie bildeten den eigentlichen Quell des Übels. Auf ihnen war er in dem kaltnassen Sommer gekeimt– der unsichtbare Unheilbringer. Selbst im getrockneten, gedroschenen und gemahlenen Zustand behielt das von ihm befallene Korn seine tödliche Wirkung bei. Doch darüber herrschte unter den Menschen Unwissenheit. Sie verdächtigten nicht das verunreinigte Mehl, sie suchten die Schuld vielmehr bei sich selbst, in ihrem Unglauben, ihren Sünden und ihren heimlichen Schandtaten.
    So betrachteten sie es als notwendiges Opfer, als verdiente Bußleistung, dass einige von ihnen eines entsetzlichen Todes starben, kurz bevor der Lenz nach einem harten, bitterkalten Winter Einzug hielt. Neun waren es, zumeist aus den ärmeren der ohnehin wenig betuchten Bauernhäuser des Dorfes. Alte waren darunter, aber auch Kinder, unter anderem alle drei Sprösslinge des bedauernswerten Ulrich Filzhut, dem unlängst erst sein treues Weib Elsa genommen worden war.
    Ulrich selbst hatte das Antoniusfeuer überlebt. Zwei Finger der rechten Hand büßte er ein, war aber alsbald am Leib wieder genesen. Nicht so an der Seele, die derart verletzt war, dass er in

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