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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Anstoß! Geht, ruft Gott im Himmel, geht, verlasst dieses geplagte Land und sucht euch eine neue Heimat, ähnlich wie es einst Moses tat, als er die Juden aus Ägypten herausführte. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht? «
    » Das ist Unsinn « , rief einer, ein angesehener Bauer, Kaspar Steinwinkel mit Namen. Er hatte soeben seinem jungen Knecht Otto, der dem Redner zu lebhaft gelauscht hatte, derbe in den Hintern getreten und schien auch jetzt noch äußerst schlecht gelaunt.
    » Warum ist das Unsinn? « , fragte der Fremde unbeeindruckt zurück.
    » Weil wir schollenpflichtig sind. Unser Herr lässt niemanden einfach ziehen. Womit er recht hat. Und wohin sollte es denn auch gehen? «
    » Auf diese letzte Frage werde ich noch zu sprechen kommen. Und was die Schollenpflicht betrifft, guter Mann: Was hat ein Grundherr schon von einer Meute hungriger Bauern, deren Mäuler er aus seinen eigenen Speichern stopfen muss, die sich vermehren wie die Karnickel, aber dennoch nicht imstande sind, sieben Bündel Korn von ihren Feldern zu ernten? Glaubt mir, der gibt euch sogar liebend gern noch Zehrgeld mit auf den Weg, damit ihr endlich verschwindet. «
    Das ging nun doch so manchem gegen die Ehre. Fäuste wurden geballt, einige auch erhoben, und Steinwinkel verpasste seinem zustimmend nickenden Knecht erneut eine gehörige Maulschelle. Der Fremde jedoch winkte milde lächelnd ab.
    » Ja, ich weiß, die Wahrheit schmerzt. Sie schmerzt. Aber ich möchte euch nichts vorgaukeln, meine Freunde. Ich muss sie euch vor Augen führen, die schlichte, aber grausame Wahrheit. Das große Bauernlegen ist in vollem Gange. Ich komme soeben aus einer Gegend, gar nicht weit von hier, da hat es einem Ritter gefallen, seinen Bauern ihr ganzes Land zu nehmen, neu aufzuteilen und an andere, jüngere, kräftigere Hintersassen zu vergeben. Den Edlen– und das sage ich hier unter uns, in der Hoffnung, dass kein Edler anwesend ist–, den Edlen steht das Wasser auch schon längst bis zum Halse. Und es ist eine stinkende, widerliche Jauche, in der sie versinken. Wie anders erklärt ihr euch die Schandtaten der Raubritter, von denen uns immer wieder zu Ohren kommt? Stehlen, brandschatzen und ergaunern sie rein aus Lust und Dollerei? Wahrlich nicht. Sie darben, wie auch ihr darbt. Gewiss, ganz so schlecht wie euch ergeht es ihnen nicht, aber für ihre Verhältnisse ist es schon schlimm genug– kaum auszuhalten ist es, vergleicht man es mit den goldenen Zeiten ihrer Ahnen.
    Seid nicht dumm, meine Freunde, handelt, bevor ihr zum Bauernopfer werdet. Nehmt den Wink des Himmels wahr! Das andauernde Leid ist euch geschickt worden, um euch aufzurütteln! «
    » Für diese ketzerische Rede könnte er gleich an den nächsten Baum geknüpft werden « , murmelte nun Ulrich Marie zu. Sie schaute ihn verblüfft an. Er war tatsächlich erwacht, hatte endlich wieder ein Wort gesprochen. Auch wenn er nicht guthieß, was der bunte Mann da sprach, so hatte dieser es tatsächlich geschafft, Ulrich Filzhut aufzuwecken und aus seinem selbstzerstörerischen Zustand zu reißen.
    » Wo sollen wir hin? Sprich, Fremder! « , forderte nun Johann den Gaukler auf. Der Bursche schien Feuer und Flamme zu sein, seine Augen glühten regelrecht, wie gebannt hatte er bislang an den Lippen des Redners gehangen.
    Nicht nur in Johann, auch in Marie begann ein hoffnungsvoller Gedanke zu keimen. Und wenn sie sich umschaute, so erkannte sie in einigen Gesichtern mehr als nur Zustimmung, ja sogar Begeisterung. Der lange Müllerssohn Josef reckte sich, damit er noch größer erschien, als er ohnehin schon war, und klebte dem Fremden regelrecht an den Lippen. Auch der stotternde Wilhelm, ein armer Tagelöhner, schien seine Schüchternheit verloren zu haben. Anstatt wie gewöhnlich scheu zu Boden zu blicken, glänzten seine Augen, und ein recht hübsches Lächeln hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet. Von dem geschundenen Steinwinkel-Knecht Otto ganz zu schweigen. Dieser ließ sich, trotz der Nähe seines brutalen Herrn, nicht davon abbringen, seiner Begeisterung für die Ideen des Spielmannes Ausdruck zu verleihen, indem er sogar in die Hände klatschte. Selbst die jungen Schmiedesöhne Fritz und Gustav sowie weitere halbstarke Raufbolde aus dem Dorf, denen es eigentlich in ihren behaglichen Heimen gut erging, suchten sich jetzt einen Platz in der vordersten Reihe, um dem Pfeifer besser lauschen zu können. Und auch eine Gruppe junger Mädchen, welche unmittelbar neben Marie standen,

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