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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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er soeben erwartungsvoll in die Runde. Ein breites Grinsen umspielte dabei seinen ohnehin riesigen Mund, was ihn in Verbindung mit seiner etwas zu langen, spitzen Nase wie einen vollendeten Narren erscheinen ließ. Unwillkürlich musste Marie zum ersten Mal seit Wochen wieder lächeln. So unbekümmert fröhlich sah dieser unbekannte Gaukler aus, und seine gute Laune war einfach ansteckend.
    » Soll ich Euch eine vortreffliche Geschichte erzählen, meine lieben Leute? « , fragte er nun und rasselte danach mit einer Kette aus kleinen Glöckchen, die er sich ums Handgelenk gebunden hatte.
    Ein zustimmendes, aber dennoch skeptisches Murren ging durch die Menge.
    » Wunderbar « , rief er aus und kletterte im Nu behände auf den untersten, dicken Ast der Linde, wo er sich geschickt so platzierte, dass er bequem die Beine baumeln lassen und einen ausgezeichneten Blick auf seine Zuhörerschaft genießen konnte.
    Seine bis dahin lustigen Augen wurden mit einem Male ganz kummervoll und betrübt. Lange betrachtete er auf diese Weise stumm die Menge, nahm jeden einzeln ins Visier, sodass es dem einen oder anderen schon mulmig zumute wurde. Auch an Marie blieb sein prüfender Blick für kurze Zeit haften. Schließlich rief er mit entsetzter Stimme:
    » Gott behüte, seht ihr schrecklich aus. «
    Ein missmutiges Raunen zog durch die Schar. Doch den Gaukler störte das nicht, er fuhr einfach fort zu reden, nun in einem bedächtigen, mitleidigen Ton:
    » Sicherlich habt ihr großen Hunger gelitten. Ist es nicht so? Sicherlich habt ihr grausame Krankheiten überstehen müssen. Ist auch das wahr? Und sicherlich musstet ihr große Verluste erleiden. Liebe Menschen sind euch gestorben, vom Vieh ganz zu schweigen. Habe ich recht? «
    Er nickte zu seiner eigenen Bestätigung, aber auch unter den Dörflern waren Laute der Zustimmung zu vernehmen.
    » Lasst euch sagen, liebe Leut’, ihr seid nicht die Einzigen. Viel herumgekommen bin ich in den letzten Jahren, zahlreiche Dörfer und Städte der deutschen Lande habe ich bereist. Und überall empfing mich dasselbe Elend: Armut, Hunger, Krankheit und Siechtum. Die Menschen ackern und rackern, roden und bauen, sie sind unermüdlich, emsig, fleißig, strebsam, aber dennoch: nichts! Nein, schlimmer gar: weniger als nichts. Ein Fluch liegt über uns, ein Fluch, der uns die Saat verdirbt, der uns den Hagel schickt, der den Sommer kälter sein lässt, als es dereinst die Winter waren. War es auch hier so in den letzten Jahren? «
    » So war es! « , konnte man Stimmen aus der Menge vernehmen. Die Leute wurden langsam aufmerksamer, ihre anfängliche Skepsis schien sich zu legen, man lauschte den nur allzu wahren Worten des Fremden mit großem Interesse.
    » Das habe ich mir gleich gedacht, als ich euch gesehen habe. Mager seid ihr, traurig, müde, dabei sind doch so viele von euch noch jung, müssten voller Leben stecken, voller Tatendrang. Du da hinten, Bursche, nenne mir deinen Namen und dein Alter! «
    Dabei zeigte er auf Johann.
    » Johann werde ich gerufen. Neunzehn Sommer zähle ich, in diesem Jahr werden es zwanzig sein, Reisender! « , antwortete der junge Mann. Auch er, der sonst so kernige Bursche, stand kalkweiß und so spindeldürr da, dass er seinen Rock mit einem zusätzlichen Strick hatte binden müssen.
    » Was glaubst du, Johann: Wird es in diesem Jahr, deinem zwanzigsten, besser werden? « , fragte ihn nun der Fremde.
    Johann schien sich geehrt zu fühlen, als Einziger von dem Redner herausgepickt worden zu sein. Er machte einige Schritte nach vorn und rief: » Ich hoffe es doch. Man sollte sie nie aufgeben, die Hoffnung. «
    » Wahrlich, das sollte man nicht, Johann. Gebt nie die Hoffnung auf, da spricht der junge Bursche ein wahres Wort « , bestätigte der Gaukler, sich wieder an die gesamte Menge wendend. » Wir alle hoffen auf die Fügungen des Himmels, wir alle hoffen darauf, dass Gott unser Bitten und Flehen erhört. Aber vielleicht ist das nicht genug. Vielleicht lässt der Himmel es absichtlich auf euch regnen, vielleicht nimmt er absichtlich eure Kinderlein viel zu früh zu sich, vielleicht lässt er absichtlich eure Saat verderben. Aber ist diese Absicht bös? Ist sie gar Teufelswerk? «
    Er starrte nun mit weit aufgerissenen, fragenden Augen auf seine Zuhörer. Niemand wagte auf diese heikle Frage zu antworten, viele blickten verschämt zu Boden. Zum Glück, dachte so mancher, ist der Pfarrer nicht anwesend.
    » Es könnte auch eine Aufforderung sein! Ein Wink, ein

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