Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Adelheid verzogen angeekelt das Gesicht. Es war ohnehin schwierig für sie, ein solch karges Mahl unter solch widrigen Umständen zu sich zu nehmen. Aber in Anbetracht verendeten, verlausten Ungeziefers war dies nicht nur schwierig, sondern gar unmöglich. Adelheid musste würgen und spürte gleich die schützende Hand Johanns heiß und schwer auf ihrem Rücken. Trotz dieser Hitze überlief sie eine Gänsehaut. Eine wohlige oder eine schaurige? Sie wusste es selbst nicht zu sagen.
» Weg mit den Dingern, Otto. Du erschreckst die Jungfern « , rief Johann dem fast Gleichaltrigen zu.
» Lass ihn, Johann. An so etwas sollten sich die Damen gewöhnen, wenn sie mit uns gehen wollen « , meinte nun Anna und erntete damit zustimmendes Nicken seitens ihrer Freundin Lisa, während ihr Liebster Wilhelm peinlich berührt kurz zu Elisabeth sah und dann wieder in seine gesprungene Holzschüssel blickte.
Marie hingegen saß da und traute ihren Augen nicht. Das waren nicht irgendwelche Wander- oder Hausratten, die der rothaarige Otto da gefunden hatte. Das waren Nagetiere von einer Sorte, die ihr nur allzu gut bekannt war. Ja, sie hatte viele Jahre ihres Lebens in Gesellschaft solcher Tiere verbracht und wusste nur zu gut, dass sie von Menschenhand gezogen waren.
» Woher hast du die Viecher, Otto? « , fragte sie laut.
» Die hingen heute früh an unserem Zelt. Ich musste austreten und bin mit dem Kopf dagegen gestoßen. Hübsch, oder? « Nun ging er mit seinem Fund auf Marie zu und präsentierte ihn stolz. Marie wich zurück und blickte zu Regino herüber.
Dem ging im selben Moment ein Licht auf. Ein Licht, das ihn offenbar so erschreckte, dass er ganz die Schüssel vergaß, welche er noch in Händen hielt. Mit offenem Munde zu den Ratten starrend, ermattete langsam der Griff seiner Hände, die Schale kippte, und ihr Inhalt ergoss sich zäh auf den Boden.
» Wir wollen uns nun beeilen « , rief er, als er wieder zu sich gekommen war. Er versuchte unbefangen zu wirken, als er aufstand und jedem einzeln auf die Beine half.
» Beeilen wollen wir uns. Beeilen « , wiederholte er in einem Singsang. Doch seine Stimme zitterte dabei merklich, und sein Blick wanderte immer wieder verstohlen in das sie umgebende Buschwerk und in den nahen Nadelwald.
Unter zusammengekniffenen Augenbrauen blickte Marie den Gaukler an.
Wollte er sich nun wieder einfach aus dem Staube machen? Hatte er Angst?
Was war mit dem Plan, den er noch in der vorletzten Nacht geschmiedet hatte?
Nun bot sich doch Gelegenheit, diese Tat zu vollbringen? Und was machte Regino?
Er bekam es mit der Angst zu tun.
» Es hat keinen Sinn fortzulaufen « , brummte die in das Vorhaben eingeweihte Maja. Als Einzige war sie am Feuer sitzen geblieben und beendete gemütlich ihr Frühstück. » Früher oder später müssen wir uns der Bedrohung stellen. «
» Ja, dann stell du dich, gute Maja. Stell du dich. Wir wollen derweil aufbrechen « , zischte Regino sichtlich nervös. » Aufbrechen wollen wir « , rief er dann wieder lauter und klatschte dabei in die Hände. Er wagte es nicht, Marie anzuschauen.
Alle hatten sie mittlerweile bemerkt, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
» Komm, Ulrich « , forderte Marie ihren Mann auf, dessen Füße schlimmer statt besser geworden waren und mittlerweile schwarze Stellen aufwiesen. » Es geht weiter. «
» Diese Ratten! Dieser vernarbte Fremde hatte solche dabei, als er bei mir war « , sagte Ulrich plötzlich.
Marie wunderte sich, dass Ulrich nun doch die Rede auf Fips brachte, über den sie bislang so ausdauernd geschwiegen hatten. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, über ihn zu sprechen. Nicht, wenn er in unmittelbarer Nähe weilte und ihnen womöglich lauschte. Auch Marie war nervös.
» Ja « , gab sie bloß gereizt zurück und führte ihren lädierten Mann zu dem Esel.
» Maja, bleib nicht hier « , rief sie dann der noch immer am Feuer sitzenden Alten zu.
» Geht. Ich werde euch finden. Der Sonne nach, immer der Sonne nach. Sie wird gleich scheinen. Folgt ihr bis zum Mittag. Dann werde ich euch eingeholt haben « , gab diese seelenruhig schmatzend zurück.
Marie zögerte eine Weile, immer wieder von Ulrich zu Maja und zurück blickend. Dann schrie sie laut: » Johann, Johann! «
» Was? « , hörte sie die Stimme des jungen Mannes von weit vorn. Er war bereits mit den anderen hinter einer Biegung des schmalen, verwachsenen Waldpfades verschwunden.
» Komm bitte und führe den Esel! « ,
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