Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
der noch immer in ihrem Kreise stehenden Maja zu winken.
» Maja, halt inne. Ich muss dich etwas fragen. « Schon eilte er zu der alten Frau, die ganz benommen und mit trunkenem Blick vor ihm stand und schier durch ihn hindurchzublicken schien.
» Maja, führe du uns ins Altvatergebirge. Ich weiß, du kannst das. «
» Wir sind gewappnet. Ich sehe Schutz, Geborgenheit und Zusammenhalt. Dieser Ort hat mir Hoffnung gegeben « , antwortete Maja mit düsterer Stimme. Sie erweckte den Anschein, mit ihrem Geist nach wie vor in einer anderen Welt zu sein.
» Hörst du, Marie! Wir sind gewappnet! « , rief Regino nun der auf ihrem Stein hockenden Marie zu.
Marie blickte erschöpft in ihren Schoß. Gewappnet. Wofür? Dachte dieser lustige Gaukler tatsächlich, es würde ein Kinderspiel, Vitus Fips für immer abzuschütteln?
Sie hatte es bereits versucht und war gescheitert.
Diese Bremse war zäh.
XX
T ot.
Einfach gestorben.
Eingegangen.
Alle viere.
Vitus Fips hielt die Kadaver seiner treuen Begleiter fassungslos in Händen. Schon über Jahrzehnte hinweg waren sie an seiner Seite. Immer wieder andere, immer wieder neue, weiße, braune, graue, bunte. Gewiss war es vorgekommen, dass die eine oder andere von ihnen von unwissenden Leuten erschlagen wurde, andere waren Füchsen oder Hunden zum Opfer gefallen, wieder andere entlaufen oder an einer Krankheit verendet, aber nie waren sie ihm alle auf einmal genommen worden. Nicht bis zum heutigen Tage.
Lag es an dem langen, feuchten und zudem sehr stürmischen Nachtmarsch, zu welchem sie von diesem verfluchten Ritter gezwungen worden waren? Waren sie zu starker Zugluft ausgesetzt gewesen? Hatten sie sich erkältet?
Fips tastete einen der schlaffen Körper gründlich ab. Da waren kleine Beulen zu spüren.
Zecken?
Nein. Außer einigen Flöhen, die man im Fell herumhuschen sehen konnte, wenn man mit dem Gesicht nur nah genug an den toten Rattenleib ging– außer diesen wenigen, harmlosen Flöhen war nichts zu erkennen. Fips lachte auf, denn einer von den kleinen dreisten Gesellen sprang doch tatsächlich zu ihm über, um es sich in seiner aus mehreren Schichten bestehenden Kleidung gemütlich zu machen.
» Tu dir keinen Zwang an. Wirst dort viele Freunde finden « , raunte Fips in sein Lumpengewand hinein und sprach dabei mit dem Floh. Bisher hatte er sich alles im Leben zunutze machen können, selbst den garstigsten Abfall – auch menschlichen –, darüber hinaus Ratten und sogar Flöhe. Einst hatte er einen » Lustigen Flohreigen « betrieben, eine kleine Vorführung, bei der er vor Kindern und neugierigem Großvolk die winzigen, an Fäden gebundenen Kameraden gegen Geld Kunststücke vollbringen ließ.
Schon lange hatte Fips nicht mehr daran gedacht. Aber jetzt, wo er die kleinen Tierchen in Augenschein nahm, erschien es ihm eine gute Idee, ein solches Geschäft hier und da auf dem noch weiten Wanderweg wieder aufblühen zu lassen. Damit ließe sich ein kleines Zubrot verdienen. Denn diese winzigen Gesellen, die da auf seinen Ratten hausten, waren von einer ganz besonderen Sorte. Nie zuvor hatte Fips solche Flöhe zu Gesicht bekommen, obgleich er sich sehr gut mit diesen Tierchen auskannte. Ob man noch mehr von ihnen fand?
Achtlos warf er jetzt die tote, soeben noch betrauerte Ratte auf den Boden, um gleich nach dem nächsten verendeten Nager zu greifen.
Ja, dort war noch solch ein dicker Brocken im Bauchfell unterwegs.
» Komm her, mein Schatz. Komm zu Onkel Fips, kleiner Goldesel. «
Schwups. Da saß er in dem verkrusteten Schafsfell, welches das Innenfutter von Fipsens Umhang bildete, den er unter dem grauen Mantel des Sariantbruders vom Deutschen Orden trug. Drei weitere sprungfreudige Flöhe fanden sich auf den beiden restlichen Kadavern.
Fips grinste zufrieden.
Er grinste nicht nur, weil er hoffte, den sich rasch durch Suff und Hurerei leerenden Geldbeutel mit dem Betreiben eines Flohzirkusses füllen zu können. Nein, er grinste auch, weil er wusste, was er gleich mit seinen verstorbenen, bunten Lieblingen anstellen würde, auf denen noch immer einige der verhängnisvollen Flöhe herumwanderten, die von dem gierigen Flohfänger übersehen worden waren.
» Jaaaaaa « , sagte er nun gedehnt und schaute aus seiner aus langen Reisigzweigen gefertigten und gut getarnten Unterkunft auf den Weg hinaus, auf welchem alsbald der ach so schlaue Regino mit seiner tumben Schar vorüberwandern würde. Regino, der tatsächlich geglaubt hatte, Fips an der Nase
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