Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
rief Marie und wartete.
» Johann wird dich begleiten, Ulrich. Ich muss noch im Lager bleiben « , flüsterte sie dem Mann an ihrer Seite ins Ohr.
» Dann bleibe auch ich « , gab Ulrich zurück und wollte wieder von dem Tier rutschen.
» Nein! « , fuhr Marie ihn plötzlich laut an und schob ihn mit Gewalt zurück auf den Rücken des Esels, der daraufhin einen Satz nach vorn machte. » Das mache ich allein « , wiederholte sie entschieden.
Ulrich glaubte zu verstehen. Er hätte es ahnen müssen, und insgeheim hatte er es schon immer geahnt. Noch vor ihrem Aufbruch aus der alten Heimat war es ihm wiederholt durch den Kopf gegangen. Er störte sie, er war seiner jungen Frau lästig: zu arm, zu alt, zu schwach war er in ihren Augen, eines prächtigen Weibes wie ihrer nicht wert. Ulrich wusste nicht, was Marie und diesen narbigen Mann, der nach ihr suchte, verband. Sie sprach nicht darüber, und er wagte nicht zu fragen. Er glaubte, dass es besser war, sie nicht zu drängen und in die Enge zu treiben. So war es immer zwischen diesem ungleichen Paar gewesen, und so war es auch jetzt. Sie wollte nun hier ohne ihn im Lager zurückbleiben, und er würde ihr diesen Gefallen erweisen, auch wenn es gefährlich für sie sein könnte. Ihm blieb allein die Hoffnung, dass sie wieder zurückkehren würde. Diese vertraute, berechtigte Hoffnung, die stets da gewesen war, wenn es Marie aus ihrer gemeinsamen Hütte allein in die Einsamkeit gezogen hatte.
Ulrich sah Marie an. Seine Augen flackerten, aber dennoch zwang er sich dazu, seinen Blick nicht abzuwenden. So schön war sie, so zart und herb zugleich, so verletzlich und dennoch so robust. Ein Rätsel war dieses Weib, viel zu schwierig für einen einfachen Mann wie ihn. Aber dennoch– oder gerade deshalb– hatte sie ihn so sehr in ihren Bann gezogen.
Marie war es unangenehm, diesen liebenden Blick auf sich zu spüren. Betreten sah sie zu Boden. Einer Erlösung kam es für sie gleich, als endlich der herbeigerufene Johann zur Stelle war. » Es tut mir leid, ich hätte dir längst eine Hilfe sein müssen, Marie. Immerzu musst du Ulrich herumschleppen « , entschuldigte er sich bereits von Weitem.
Ulrich, der wieder zu seinem alten, sturen Selbst zurückgefunden hatte, brummte missmutig. Seine Füße waren unbrauchbar, ja, das stimmte, aber das hieß noch lange nicht, dass sein Verstand ausgesetzt hatte. Was nahm sich dieser Lümmel heraus?
» Der Sinn steht dir im Moment nach anderem. Das verstehe ich « , zwinkerte Marie dem Burschen zu. » Jetzt nimm die Zügel und geht, beeilt euch, damit ihr Regino und die anderen einholt. Der Sonne nach, sagt Maja. Wir werden noch eine Weile bleiben und dann zu euch aufschließen. «
» Warum? «
» Frag nicht, Johann. Geht. Es gibt hier noch etwas zu tun. «
Irritiert schüttelte Johann den Kopf.
Das Lager war aufgeräumt, alle Sachen gepackt. Was gab es da zu tun?
Warum blieben die beiden Frauen zurück?
War etwa eine unbekannte Gefahr in Verzug?
» Wenn ihr einen starken Mann an eurer Seite braucht, so bleibe ich « , bot nun auch er sich ritterlich an.
» Unsinn! Verschwindet! « , gab Marie sehr entschieden zurück und schlug dem Esel kräftig aufs Hinterteil. » Los! «
» Komm wieder! « , rief Ulrich heiser, seinen Kopf schwach zu ihr umdrehend, » komm wieder « , und ließ mit dieser Bitte einen eisigen Schauer über Maries gesamten Leib laufen. Fast hätte sie sich gewünscht, ihm ein lautes » Nein « nachzurufen.
Als die beiden Männer endlich hinter der Wegbiegung verschwunden waren, drehte sie sich zu Maja um.
» Na, dann wollen wir sehen, ob er es wagt, sich zwei tapferen Weibern zu stellen « , sagte Maja ruhig und zog unter ihren vielen Röcken einen spitzen Dolch hervor, den Marie zuvor noch nie bei ihr gesehen hatte.
» Vitus! «
Marie schritt das Gelände um ihr letztes Nachtlager bereits zum dritten Mal ab. Längst war sie dazu übergegangen, den Namen des Mannes, den sie eigentlich nie wieder in ihrem Leben sehen wollte, laut zu rufen.
Keine Reaktion.
» Vitus, komm heraus. Ich bin hier. « Sie war wütend und ungeduldig und deshalb mutig.
Nichts.
War er bereits wieder fort? Oder traute er sich nicht?
Marie erweiterte den Radius und verließ den Wald, in dem sie die Nacht verbracht hatten. Maja stapfte irgendwo hinter ihr, beide waren sie bewaffnet. Doch ob ihnen das helfen würde? Immer wieder schaute Marie zurück, sie wollte die gute Alte nicht aus den Augen verlieren.
Sobald sie die letzten
Weitere Kostenlose Bücher