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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
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abschirmend, in Richtung der anrückenden Staubwolke Ausschau hielt. Dieselbe Brise, die die Männer herbrachte, blätterte die durchscheinenden Seiten der aufgeschlagen am Boden liegenden Bibel um. Der Hirte bedeutete ihm mit einer Handbewegung, in Deckung zu gehen.
    Nervös schaute der Junge sich nach einer Rückzugsmöglichkeit um, fand aber nichts. Hinter ihm nur der Hirte, die Mauer und ein Haufen Trümmer. Sonst rundum nichts als unbarmherziges, endloses Ödland, das ihm keinen Schutz bieten würde. Er duckte sich und legte die Strecke bis zur Mauer auf allen vieren zurück. Er kroch vorbei an dem Alten und presste sich gegen die Steine.
    »Versteck dich!«
    Der Junge drückte die Brust auf den Boden und robbte auf den Ellenbogen vorwärts. Kiesel bohrten sich ihm in die Unterarme und rissen sein Hemd auf. Er kroch dicht an der Mauer entlang auf die andere Seite. Vor den Blicken der Männer geschützt weiter durch die Schutttäler bis zur Mauermitte. Der Hund folgte ihm neugierig, in Erwartung, dass der Junge ihm ein Stöckchen werfe oder ihn kraulte. So drohte er, sein Versteckzu verraten. Der Junge hockte sich hin, den Rücken an die Mauer gelehnt, rief den Hund zu sich und kraulte ihn mit den Fingern unterm Maul, um ihn ruhig zu stellen.
    Als der Trupp vom Treidelweg abbog und den Weg zur Burg heraufkam, erkannte der Alte das Motorrad des Polizeiwachtmeisters. Begleitet wurde er von zwei Männern auf Pferden, deren Hufe auf den Kieselsteinen Funken schlugen.
    Auf einen Pfiff des Hirten hin hörte der Hund auf, mit dem Schwanz zu wedeln, straffte die Beine und stellte die Ohren hoch. Er zog seinen Kopf aus der Umklammerung des Jungen und sprintete los, umrundete die Mauer und gesellte sich zu dem Alten, der gerade etwas in seinem Ranzen suchte. Als die Männer näherkamen, verwandelte sich das Motorbrummen in ein lautes Knattern, das die Turtel- und Ringeltauben, die im Turm nisteten, aufschreckte.
    Die Ziegen wichen ihnen aus. Der Alte ließ den letzten Streifen Trockenfleisch neben sich zu Boden fallen. Der Hund hockte sich ihm zur Seite und begann an dem sehnigen Muskelstück zu lecken und darauf herumzukauen.
    Der Hirte hatte sich zu ihrem Empfang erhoben. Er zog den Hut und nickte zur Begrüßung mit dem Kopf. Einer der Reiter erwiderte den Gruß mit einem flüchtigen Griff an den Rand seiner Schirmmütze. Derweil ließ der andere, ein Typ mit rötlichem Bart, bereits den Blick über das Gelände schweifen. Als einziger der drei trug er eine Waffe. Ein doppelläufiges Jagdgewehr mit holzverkleidetem Kolben. Der Polizeiwachtmeister stellte denMotor ab, und obwohl die Ziegen weiter meckerten und mit ihren Glöckchen bimmelten, hatte der Alte das Gefühl, als herrsche plötzlich Totenstille. Der Mann streifte sich die Lederhandschuhe ab und legte fein säuberlich einen neben den anderen über die Innenkante des Beiwagens. Die Finger nach innen, sodass die langen Lederschäfte außen herabbaumelten. Ohne vom Motorrad abzusteigen, nahm er die gummierte Schutzbrille ab, öffnete den Kinnriemen seines Helms und zog ihn vom Kopf. Sein Haar war schweißnass. Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, als wollte er es waschen, und strich sich mit den Fingern wie mit einem Kamm das feuchte Haar zurück. Dann zog er aus dem Beiwagen einen braunen Filzhut, fächelte sich damit ein paar Sekunden lang Luft zu, setzte ihn auf und rückte ihn feierlich über der Stirn zurecht.
    »n’Abend, alter Mann.«
    »Señor.«
    »Ach, auf einmal nennst du mich Señor?«
    Die Stimme des Polizeiwachtmeisters hallte schneidend zwischen den Steinmauern. Hinter der Trennwand fühlte der Junge, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Er spürte eine feuchte Wärme, die ihm an den verkrampften Schenkeln hinabrieselte und seine Stiefel durchweichte. Der Urin rann an dem Leder entlang und bildete einen kleinen nassen Fleck zu seinen Füßen. Wenn er hierblieb, brauchten sie nur um die Mauer zu spähen, um ihn zu finden.
    »Schreckliche Hitze.«
    »Kann man wohl sagen.«
    Der Hirte bückte sich und zog am Korbhenkel der Flasche, ohne sie hochzubekommen.
    »Einen Schluck?«
    »Ich würd’s dir danken, alter Mann.«
    Der Polizeiwachtmeister winkte mit der Hand, und einer der Männer näherte sich dem Hirten, ohne abzusteigen. Der Mann war so groß, dass das Pferd unter ihm klein wirkte. Der Reiter hielt vor dem Hirten und regte sich nicht. Der Alte bückte sich erneut und zog an dem Henkel. Der Bauch des Pferdes befand sich fast über

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