Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
Vom Netzwerk:
die Winde einer Schraube. Ein von Tauben hinterlassenes Gemisch aus Kot, Federn und Zweigen hatte ein Loch einbrechen lassen, das auf die obere Terrasse führte. Ohne diese Lichtquelle drei Meter über dem Boden wäre die Dunkelheit undurchdringbar gewesen.
    »Komm raus, wo immer du dich befindest, Bastard!«
    Die Stimme des Mannes stieg den Kolben empor, bohrte sich dem Jungen in den Schädel und wirbelte seine Gedanken durcheinander. Er zitterte auf dem Kragstein, den er mit Mühe und Not erklommen hatte, sodass er drohte, den Halt zu verlieren und abzustürzen.
    »Komm raus, wenn du da drinnen bist, verfluchter Bengel!«
    Der Polizeiwachtmeister und der andere Mann kamen herbei. Der Rothaarige zog den Kopf aus dem Turm zurück und wandte sich zu ihnen um.
    »Im Umkreis von zehn Kilometern gibt es keinen anderen Ort, um sich zu verstecken. Entweder er ist hier oder tot.«
    »Reg dich nicht auf, Rotschopf. Wenn er da drin ist, wird er herauskommen.«
    »Man sieht da drinnen nichts.«
    Der Polizeiwachtmeister presste die Lippen zusammen und strich sich das schon fast trockene Haar glatt. Er trat einige Meter nach hinten und inspizierte die Außenmauer des Turms. Dann kehrte er zum Eingang zurück und steckte den Kopf hinein. Mit der Stiefelspitze stocherte er im sandigen Boden und grub die Reste des Feuers aus, auf dem sie am Vorabend das Kaninchen gegrillt hatten. Er kam wieder hervor, klopfte sich mit der flachen Hand auf die Lippen und blickte den Rothaarigen an. Dann fing er an zu gestikulieren, zeigte mit gestreckten Fingern gen Himmel und hob langsam beide Arme. Wortlos entfernten sich die Männer, jeder in eine andere Richtung, während der Polizeiwachtmeister am Türsturz stehenblieb, aus der Innentasche seines Jacketts einen ledernen Tabakbeutel zog, die Kordel aufknüpfte und einen Block Zigarettenpapier herausnahm. Mit einem braunen Papierblättchen und einer Prise Tabak drehte er sich sorgfältig eine Zigarette. Als die Männer zurückkehrten, saß ihr Anführer eingehüllt in weiße Qualmwolken auf einem Felsblock. Er spielte klickend mit einem Benzinfeuerzeug.
    »Im gesamten Umkreis nichts.«
    Der Polizeiwachtmeister wies mit dem Daumen auf die Mauer hinter seinem Rücken, die Männer umrundeten sie und ließen ihren Anführer weiter seinen Gedanken nachhängen. Sie trafen auf den Hirten, der auf den Strohkörben saß und so tat, als lese er in seiner Bibel.
    »Weg da, Alter.«
    Schwerfällig rappelte der Ziegenhirt sich auf und wich zur Seite. Die Männer hoben die Tragekörbe auf und kippten den gesamten Inhalt über den Boden. Die Pfanne klirrte wie eine Glocke, als sie auf einen Stein aufschlug. Die Blechkanne versprenkelte das letzte Öl über den Staub, ohne dass der Hirte sich rührte. Die Männer schleiften die Packkörbe und den Saumsattel aus Roggenstroh hinter sich her. Im Turm zerriss der Rothaarige die Fächer des Saumsattels und schichtete einen Teil der Strohfüllung zu einer kleinen Pyramide auf. Darüber verteilte er die Reste des Tragegestells und die plattgedrückten Tragetaschen. Ein Haufen Brennstoff. Sobald der Polizeiwachtmeister das Feuerzeug dranhielt, zündete das Stroh. Die abschirmenden Turmmauern und die Gluthitze des Tages erledigten den Rest. Nach nur wenigen Sekunden überragten die Flammen die Höhe der Türangel und verloren sich im Innern des Turms. Die Männer trennten sich und schauten zu, wie die Flammen die Fasern verzehrten, die sich kräuselten, bis sie zu einem schwarzen Fadengewirr verkohlt waren. Ein paar Tauben turtelten noch in den weiter entfernten Entwässerungslöchern der Mauer.
    Dem Jungen blieb keine Zeit, in Panik zu geraten. In seinem Inneren überstürzten sich alle Überlebensmechanismen, und in einem ersten Reflex presste er sich an die Wand, als verschaffe er sich so mehr Platz auf dem Kragstein. Platz, um auf die andere Seite der Röhre zu springen, über den Rauch und die Flammen hinweg. Sein Körper reagierte ganz von alleine, und zu den möglichenAlternativen zählte er nicht, sich auf die lodernden Körbe fallen zu lassen und nach draußen zu flüchten. Zur Not würde er sich vom blindwütigen Feuer aufzehren lassen wie von einem gefräßigen Frettchen, bis zum Tod.
    Er war hoch genug geklettert, dass die Flammen ihm nicht die Füße verbrannten. Noch hatte auch der Rauch innerhalb des Turms genügend Raum, sodass ihm noch ein paar Sekunden blieben, bevor er ersticken und auf den brennenden Strohhaufen hinabstürzen würde.
    Er tastete die

Weitere Kostenlose Bücher