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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesus Carrasco
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Erstes mit dem Schwanz wedeln. Um seinen Hals hing die Blechbüchse, die der Hirte ihm bei ihrer ersten Begegnung gegeben hatte. Der Junge kraulte den Hund, bevor er sich hinter dem Mauervorsprung räkelte. Er sah den rostigen Absperrhahn, an dem er sich am Abend zuvor gestoßen hatte, und fasste sich mit der Hand ans Schienbein. Er tastete es über dem Stiefel ab, und obwohl es schmerzte, schien er sich nichts gebrochen zu haben.
    Gegen Mittag kehrte der Junge gemeinsam mit dem Hund zur Burg zurück. Als sie dort eintrafen, lag der Alte mit offenen Augen an seinem Platz. Kein feuchter Fleck mehr zwischen den Beinen. Der Junge blieb in einiger Entfernung stehen, während der Alte ihn musterte.
    »Setz dich.«
    »Ich will nicht.«
    »Ich werde dir nichts tun.«
    »Sie wissen, dass sie hinter mir her sind. Sie werden mich ausliefern.«
    »Das ist nicht meine Absicht.«
    »Sie wollen das Gleiche wie alle.«
    »Du irrst dich.«
    »Warum haben Sie mich hierhergebracht?«
    »Weil es weit weg ist.«
    »Weit weg von was?«
    »Von den Leuten.«
    »Die Leute sind nicht mein Problem.«
    »Jeder, der dich sieht, kann dich verraten.«
    »Das werden Sie doch auch tun.«
    »Nein.«
    »Sie sind genau wie die anderen.«
    »Ich habe dir das Leben gerettet.«
    »Damit ich Ihnen was schuldig bin.«
    Der Alte schwieg. Der Junge trippelte in zehn Metern Entfernung im Kreis, als müsse er sich vor Enttäuschung fast in die Hose machen.
    »Ich weiß nicht, warum du ausgerissen bist, und will es auch gar nicht wissen.«
    Der Junge hielt inne.
    »Ich weiß nur, dass der Polizeiwachtmeister hier keine Befehlsgewalt hat.«
    Kaum vernahm der Junge das Wort »Polizeiwachtmeister« aus dem Mund des Hirten, fühlte er auch schon, wie seine Fersen glühten, als stiegen Flammen vom Boden auf, um ihn innerlich zu verbrennen, wie es nur die Scham vermag. Er hatte den Namen des Satans aus dem Mund eines anderen gehört und spürte jetzt, wie dieses Wort die Mauern einriss, in denen seine Schande lebte. Sah sich nackt vor dem Alten und der Welt. Der Junge wich ein paar Schritte zurück und kauerte sich vor die warme Steinmauer. Er spürte die rauhe Oberfläche des Felsgesteins und überschlug, was die Ebene ihm gebracht hatte. Genau hier, außerhalb jeder Zuständigkeit des Polizeiwachtmeisters, konnten sie mit ihm anstellen, was sie wollten. Nur diese Steine wären Zeugen der Quälereien, auf die unweigerlich der Tod folgen würde. Er sprang auf.
    »Ich gehe.«
    »Tu, was du willst!«
    Der Junge löste dem Hund die Blechbüchse vom Hals und zeigte sie dem Ziegenhirten.
    »Die hier nehme ich mit.«
    »Sie gehört dir.«
    Er goss Wasser aus der Flasche in den Behälter und trank mehrmals. Dann packte er die Büchse in seinen Proviantsack, bückte sich und kraulte den Hund unterm Maul. Bevor er aufbrach, zog er die Kordel enger, die ihm als Gürtel diente, und schaute rundum. Der Himmel war von makellosem Blau. Er strich mit der Hand über den Kopf und marschierte, ohne dem Hirten noch einen Blick zu schenken, los in Richtung Norden. Der Alte setzte sich auf, um dem Jungen nachzusehen. Der Hund folgte ihm glücklich, als brächen sie auf, um die Umgebung der Festung zu erkunden. Mal lief er zur Rechten, mal zur Linken des Jungen. Schließlich richtete er sich vor ihm auf, die Vorderbeine auf seine Oberschenkel gestützt, um gekrault zu werden. Der Junge stieß ihn beiseite, um seinen Weg fortzusetzen, woraufhin der Hund nicht länger beharrte und ihm in aller Ruhe hinterhertrottete. Als sie fünfzehn oder zwanzig Meter hinter sich gebracht hatten, pfiff der Hirte. Der Hund ließ die Spielereien und stellte die Ohren auf. Da bückte sich der Junge zu dem Hund, legte ihm die Hände um den Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr, damit sich die Anspannung seines Hüterinstinkts legte und er ruhig und zufrieden zur Mauer zurücktrabte.
    Dann stellte der Junge sich wieder auf und empfing, als er sich gerade die Hosenbeine zurechtrüttelte, einen warmen Lufthauch im Nacken. Er holte einmal tief Atem,um sich für den ungewissen Weg zu wappnen. Da vernahm er plötzlich ein Motorengeräusch, das der Wind herantrug. Er drehte sich um und erspähte in der Ferne eine Staubwolke über dem Treidelweg. Der über dem Boden schwebende Hitzeschleier machte es ihm unmöglich zu erkennen, woher genau das Geräusch kam, das immer deutlicher zu hören war. Als er sich, ohne es zu wollen, zu dem Hirten umschaute, sah er, dass dieser auf den Knien, die Augen mit der Hand

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