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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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fängt das Licht der beiden Monde ein und, mein Gott, es ist wirklich ein Gegenstand von großer Macht. Ein Gegenstand, der eher mich besitzt als umgekehrt.
    Ich verrenke mich und stecke das Messer in die Scheide, diezwischen meinem Rücken und dem Rucksack klemmt, damit ich es wenigstens nicht dauernd vor Augen habe.
    Dann streife ich den Rucksack ab und durchsuche ihn nach einer Taschenlampe.
    »Weißt du, wie man so etwas benutzt?«, frage ich das Mädchen und knipse die Lampe ein paarmal an und aus.
    Wie immer schaut sie mich nur stumm an.
    »Macht nichts«, sage ich.
    Mein Hals tut weh, mein Gesicht tut weh, meine Brust tut weh, und mein Lärm dröhnt mich mit düsteren Bildern voll, von der Auseinandersetzung auf der Farm zwischen Ben, Cillian und den anderen und davon, wie lange wohl Prentiss junior braucht, um herauszufinden, wohin ich geflohen bin, wie lange es dauert, bis er mir auf den Fersen ist, bis er uns auf den Fersen ist (nicht sehr lange, wenn er’s nicht ohnehin bereits ist) – also wen, verflucht noch mal, kümmert es, ob sie sich mit einer Taschenlampe auskennt oder nicht. Natürlich tut sie’s nicht.
    Ich hole das Buch aus dem Rucksack, die Taschenlampe spendet mir gerade genug Licht. Wieder falte ich die Karte auf und fahre mit dem Finger Bens Pfeile nach, von unserer Farm bis zum Fluss und weiter durch den Sumpf und dann wieder hinaus und den Fluss entlang.
    Es ist nicht schwer, aus dem Sumpf herauszufinden. In der Ferne am Horizont sieht man immer drei Berge, einer liegt näher, die anderen beiden etwas weiter entfernt, aber dicht nebeneinander. Der Fluss auf Bens Karte führt zwischen dem vorderen Berg und den beiden anderen hindurch, also brauchen wir nur in diese Richtung zu marschieren, dort werden wir auf den Fluss stoßen und seinem Lauf folgen.
    Wir gehen dorthin, wo die Pfeile hinzeigen.
    Zu einer anderen Siedlung.
    Da ist es. Ganz unten auf der Karte.
    Ein anderer, ein fremder Ort.
    Als gäbe es nicht schon genug Neues, über das ich mir den Kopf zerbrechen muss.
    Ich sehe sie an, sie starrt mich an, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Ich leuchte mit der Lampe in ihr Gesicht. Sie zuckt zusammen und dreht sich weg.
    »Woher kommst du?«, frage ich sie. »Von da?«
    Ich leuchte die Karte an und deute auf die eingezeichnete Stadt. Sie rührt sich nicht. Ich winke sie zu mir her, aber sie rührt sich nicht. Mit einem Seufzer nehme ich das Buch, gehe zu ihr und halte ihr die Karte hin.
    »Ich«, sage ich und deute dabei auf mich selbst, »ich komme von da.« Ich zeige auf den Hof nördlich von Prentisstown. »Das«, ich mache eine ausholende Armbewegung, »das ist der Sumpf.« Dann deute ich auf die Stelle in der Karte. »Wir müssen dahin.« Ich deute auf die andere Stadt. Ben hat den Namen der Stadt danebengeschrieben, aber ... Ach, ist ja auch egal. »Bist du von dort?« Ich deute zuerst auf sie, dann auf die Stadt, dann wieder auf sie. »Bist du von dort?«
    Sie starrt auf die Karte, aber das ist auch schon alles.
    Mit einem ratlosen Seufzer drehe ich mich weg. Es ist unangenehm, ihr so nahe zu sein. »Na ja, ich hoffe, du kommst von dort«, sage ich und blicke auf die Karte. »Denn genau da gehen wir hin.«
    »Todd«, bellt Manchee. Ich blicke hoch. Sie hat angefangen im Kreis zu laufen und sieht sich suchend um.
    »Was machst du da?«, frage ich.
    Sie schaut zu mir her, dann auf die Lampe in meiner Hand, und schließlich deutet sie auf eine Gruppe Bäume.
    »Was ist? Wir haben keine Zeit ... «
    Wieder deutet sie in dieselbe Richtung und dann stapft sie einfach los.
    »Hey!«, rufe ich. »Hey!«
    Ich schätze, ich werde ihr nachlaufen müssen.
    »Wir müssen uns an die Karte halten!« Ich ducke mich unter Zweigen weg und folge ihr, der Rucksack verfängt sich mal rechts, mal links. »Hey! Warte auf mich!«
    Ich stolpere weiter, Manchee dicht hinter mir. Die Taschenlampe nützt nicht viel im Kampf gegen all die verdammten Zweige und Wurzeln und Pfützen in einem riesengroßen Sumpf. Ständig muss ich mich ducken und den Rucksack losmachen, sodass ich kaum nach vorne schauen und sie im Auge behalten kann. Doch dann bleibt sie vor einem umgestürzten, verkohlt aussehenden Baum stehen und wartet auf mich.
    »Was ist?«, frage ich, als ich sie endlich eingeholt habe. »Wohin ...«
    Und dann sehe ich es.
    Der Baum ist verbrannt, frisch verbrannt, und erst vor Kurzem umgestürzt, denn die Späne sind sauber und weiß wie neu geschlagenes Holz. Und da sind noch weitere gefällte Bäume,

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