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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Tankstelle in der Stadt bestehen auch heute immer noch aus Teilen des Metallrumpfs, aus Laderäumen oder Kabinen. Und obwohl dieses Wrack hier ein ziemlicher Trümmerhaufen ist, könnte man bei näherer Betrachtung glauben, es sei ein altes Haus von Prentisstown, das geradewegs vom Himmel gefallen ist. Mitten aus einem Feuerhimmel.
    »Todd!«, bellt Manchee von irgendwoher. »Todd!«
    Ich renne dorthin, wo das Mädchen verschwunden ist. Im Vorbeilaufen sehe ich eine Tür in der Metallwand, die offen steht, und dahinter ein Licht.
    »Todd!«, bellt Manchee.
    Ich leuchte mit der Taschenlampe in die Richtung, aus derdas Bellen kommt. Er ist bei ihr. Sie steht reglos da und blickt auf etwas herab, deshalb richte ich den Lichtkegel dorthin und bemerke zwei längliche Kleiderhaufen.
    Nur dass es in Wirklichkeit zwei Leichen sind.
    Ich trete näher heran, richte die Lampe auf sie. Da liegt ein Mann, seine Kleider und sein Körper sind von der Brust abwärts fast völlig verkohlt. Auch sein Gesicht weist Brandwunden auf, trotzdem kann ich erkennen, dass es sich um einen Mann handelt. Er hat eine Verletzung an der Stirn, an der er wohl auch ohne die Verbrennungen gestorben wäre, aber das ist ja eigentlich egal, denn tot ist er sowieso. Er ist tot und liegt mitten im Sumpf.
    Ich lasse den Lichtstrahl weitergleiten.
    Neben ihm liegt eine Frau – oder?
    Es ist die erste Frau aus Fleisch und Blut, die ich je gesehen habe. Und sie sieht genauso aus wie das Mädchen. Ich habe noch nie zuvor eine echte Frau gesehen, aber wenn es je eine Frau gab, dann diese.
    Sie ist tot, natürlich; allerdings entdecke ich weder Verbrennungen noch andere Wunden, auf ihren Kleidern ist nicht mal Blut, vielleicht hatte sie innere Verletzungen.
    Aber es ist eine Frau. Wirklich und wahrhaftig eine Frau. Ich leuchte mit der Lampe das Mädchen an. Diesmal zuckt es nicht zurück.
    »Das sind deine Ma und dein Pa, nicht wahr?«, frage ich leise.
    Sie sagt kein Wort, aber bestimmt habe ich Recht.
    Ich leuchte das Wrack an und denke an die aufgewühlte Erde dahinter und dass dieser Fund nur eines bedeuten kann: Sie und ihre Eltern sind abgestürzt. Ihre Ma und ihr Pa sindgestorben. Sie hat überlebt. Ob sie von einem anderen Ort aus New World kommt oder von ganz woanders, spielt keine Rolle. Die beiden sind gestorben, sie hat überlebt und war seither ganz allein hier.
    Bis Aaron sie aufgespürt hat.
    Wenn das Glück nicht mit dir ist, dann ist es gegen dich.
    Auf dem Boden sind Spuren, wo das Mädchen die Leichen aus dem Wrack geschleift hat. Aber der Sumpf eignet sich nicht als Grab, außer für einen Spackle, denn nach zwei Zoll Morast stößt man nur noch auf Wasser, deshalb liegen sie immer noch so da. Ich hasse es, das zu sagen, aber sie riechen schon, was aber bei all dem Sumpfgestank nicht allzu sehr auffällt, deshalb lässt sich auch nur schwer sagen, wie lange sie hier schon liegen.
    Sie sieht mich an, sie weint nicht, sie lächelt nicht, ihre Miene ist so ausdruckslos wie immer. Dann geht sie an mir vorbei, zurück zu den Schleifspuren und bis zur Tür des Wracks, klettert hinauf und verschwindet darin.

10
    Essen und Feuer
    »Hey!«, rufe ich ihr nach. »Wir können hier nicht länger rumtrödeln ...«
    Ich erreiche die Tür, gerade als sie den Kopf rausstreckt. Erschrocken weiche ich zurück. Sie wartet, bis ich ihr den Weg frei gemacht habe, dann klettert sie wieder herunter und geht an mir vorbei, in der einen Hand eine Tasche und in der anderen ein paar kleine Päckchen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick durch die Tür ins Innere zu erhaschen. Wie zu erwarten, herrscht dort ein heilloses Durcheinander, vieles ist kaputtgegangen.
    »Wie bist du da lebend rausgekommen?«, frage ich sie.
    Aber sie ist sehr beschäftigt. Sie hat die Tasche und die Päckchen zur Seite gelegt und ein kleines, flaches grünes Kästchen hervorgeholt. An einer halbwegs trockenen Stelle stellt sie es ab und schichtet Holzstücke darüber.
    Ungläubig schaue ich ihr zu. »Wir haben wirklich keine Zeit, um ...«
    Sie drückt einen Knopf an der Seite des grünen Kästchens – wusch! – und wir haben ein richtig schönes Lagerfeuer.
    Mit offenem Mund stehe ich da und komme mir vor wie ein Idiot.
    Ich muss dieses Feuerding haben.
    Sie sieht mich an und massiert sich leicht die Arme, und erst da merke ich, dass ich pitschnass bin und mir kalt ist und alles wehtut und dass ein Feuer so ziemlich der größte Segen ist, den ich mir jetzt vorstellen

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