Die Flucht
ich.
»Aaron«, bellt Manchee.
Das Mädchen zuckt zusammen. »So heißt er, ja?«
Ich nicke, kaue weiter auf meinem Hammelfleisch herum. »Klar. So heißt er.«
»Er hat es niemals ausgesprochen, aber ich wusste, es war so.«
»Willkommen in New World.« Ich beiße in das Fleisch, reiße ein besonders zähes Stück ab, das an einer der vielen wunden Stellen in meinem Mund hängen bleibt. »Aua.« Ich spucke den Bissen wieder aus und jede Menge Blut dazu.
Sie sieht, wie ich spucke, und legt das Essen beiseite. Sie macht ihre Tasche auf und zieht eine kleine blaue Schachtel hervor, nur wenig größer als das grüne Feuerkästchen. Sie drückt auf einen Knopf auf der Vorderseite und holt etwas heraus, was aussieht wie ein weißer Plastiklappen, dazu ein kleines Metallmesser. Sie steht auf und kommt zu mir.
Ich bleibe sitzen, aber als sie mein Gesicht mit ihren Händen berührt, lehne ich mich zurück.
»Ein Verband«, sagt sie.
»Ich habe selbst Verbandsmaterial.«
»Das hier ist besser.«
Ich lehne mich noch weiter zurück. »Du ...«, sage ich und blase die Luft durch die Nase aus. »Du bist so ruhig ...« Ich schüttle leicht den Kopf.
»Und das beunruhigt dich?«
»Ja.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Halt still.«
Sie untersucht mein Gesicht rund um das geschwollene Auge, dann schneidet sie mit dem kleinen Skalpell einen Streifen vom Verband ab. Sie will ihn auf mein Auge legen, aber ichkann nichts dafür, ich muss vor ihrer Berührung zurückweichen. Sie sagt nichts, hält nur die Hände ausgestreckt und wartet. Ich hole tief Luft, schließe die Augen und halte ihr mein Gesicht hin.
Ich spüre, wie sie den Verband auf meine geschwollene Gesichtshälfte legt, die augenblicklich kühler wird, der Schmerz lässt sofort nach, als wäre alles wie von Zauberhand weggewischt. Sie legt noch ein Stück auf eine Wunde an meinem Haaransatz, und ihre Finger streichen über mein Gesicht, als sie ein drittes Stück direkt unter meine Unterlippe legt. Es ist so angenehm, dass ich meine Augen geschlossen halte.
»Für deine Zähne habe ich nichts«, sagt sie.
»Schon in Ordnung.« Es klingt fast wie ein Wimmern. »Mann, dieser Verband ist wirklich besser als meiner.«
»Er besteht teilweise aus lebenden Zellen«, erklärt sie mir. »Es ist synthetisches menschliches Gewebe. Wenn deine Wunden geheilt sind, stirbt es ab.«
»Ah ja«, sage ich und tue so, als ob ich mir darunter etwas vorstellen könnte.
Eine Zeit lang schweigen wir, lang genug, dass ich meine Augen wieder aufschlage. Sie ist zurück zu dem Felsen gegangen, auf dem sie saß, und beobachtet mich.
Wir warten. Es scheint im Augenblick das einzig Richtige zu sein.
Und tatsächlich ist es richtig, denn nach einer Weile beginnt sie zu reden.
»Wir sind abgestürzt«, sagt sie leise und sieht mich dabei nicht an. Dann räuspert sie sich und wiederholt ihre Worte. »Wir sind abgestürzt. Es hat gebrannt, wir flogen niedrig, und wir dachten schon, wir seien in Sicherheit, aber irgendetwasging schief mit den Notlandungsvorrichtungen und ...« Sie breitet die Hände aus, um anzudeuten, was nach dem »Und«passiert ist. »Wir sind abgestürzt.«
»Waren das deine Mutter und dein Vater?«, frage ich nach einer Weile.
Sie blickt zum Himmel, der sich weit und blau über uns spannt; Wölkchen treiben darüber, die wie Knochen aussehen. »Als die Sonne aufging«, fährt sie dann fort, »kam dieser Mann.«
»Aaron.«
»Es war so unheimlich. Er hat geschrien und getobt und dann ist er wieder verschwunden. Und ich habe versucht wegzulaufen.« Sie verschränkt die Arme. »Ich habe es immer wieder versucht, aber ich bin im Kreis gelaufen. Egal wo ich mich verstecken wollte, der Mann war schon da, ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Schließlich fand ich diese eigenartigen Hütten.«
»Die Häuser der Spackle«, erkläre ich, aber sie hört mir nicht richtig zu.
»Und dann bist du gekommen.« Sie blickt zu Manchee. »Du und dein sprechender Hund.«
»Manchee !«, bellt Manchee.
Ihr Gesicht ist bleich, und als sich mich anschaut, glitzern Tränen darin. »Wo bin ich hier?« Ihre Stimme klingt heiser. »Warum sprechen die Tiere? Warum höre ich dich sprechen, obwohl du deinen Mund gar nicht bewegst? Warum höre ich so viele von euren Stimmen, eine lauter als die andere, so als ob neun Millionen von euch auf einmal sprächen? Warum sehe ich Dinge, wenn ich dich anschaue? Warum habe ich gesehen, was dieser Mann ...«
Ihre Stimme erstirbt. Sie zieht die Knie
Weitere Kostenlose Bücher