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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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ich. »Großes Feuer. Bist du okay?«, frage ich nun das Mädchen, das auf dem Boden kauert und hustet. »Mann, was war das für ein Zeug?«
    Aber natürlich sagt es kein Wort.
    »Todd Hewitt!«, schallt es von der anderen Seite herüber.
    Es ist der Bürgermeister, er richtet zum allerersten Mal seine Worte direkt an mich, durch dichte Rauchschwaden und eine Hitzewand hindurch, hinter der er ganz verschwommen aussieht.
    »Wir sind noch nicht fertig miteinander, Todd«, ruft er. »Noch lange nicht.«
    Er ist ganz ruhig und immer noch makellos sauber und sieht aus, als würde er seinen Willen durchsetzen, egal was kommt.
    Ich stehe auf, strecke den Arm aus und zeige ihm zwei Finger, aber da ist er bereits hinter den dicken Rauchwolken verschwunden.
    Ich huste und spucke wieder Blut. »Wir müssen weiter«, sage ich krächzend. »Vielleicht kehren sie um und es gibt tatsächlich keinen anderen Weg über den Fluss, trotzdem sollten wir es nicht drauf ankommen lassen.«
    Mein Blick fällt auf das Messer im Staub. Sofort überfällt mich die Scham, ein neuer Schmerz, der sich zu den anderen gesellt. Was habe ich nur für Sachen gesagt! Ich hebe es auf und stecke es in die Scheide zurück.
    Sie hält den Kopf gesenkt, hustet in sich hinein. Ich hebe ihre Tasche auf und reiche sie ihr.
    »Komm«, sage ich. »Lass uns wenigstens von dem Rauch weggehen.«
    Sie blickt zu mir hoch.
    Ich sehe sie an.
    Mein Gesicht brennt und das kommt nicht von der Hitze. »Tut mir leid.« Ich wende den Blick ab, weg von ihren Augen und ihrem Gesicht, das ausdruckslos ist wie immer. Dann drehe ich ihr den Rücken zu.
    »Viola«, höre ich da plötzlich hinter mir.
    Ich wirble herum.
    »Was ?«
    Sie schaut.
    Öffnet den Mund.
    Spricht.
    »Mein Name«, sagt sie. »Mein Name ist Viola.«

T EIL III

13
    Viola
    Eine Minute lang entgegne ich gar nichts und auch sie sagt kein Wort. Das Feuer brennt, der Rauch steigt auf, Manchee hechelt atemlos und lässt die Zunge aus dem Maul hängen, bis ich schließlich sage: »Viola«.
    Sie nickt.
    »Viola«, wiederhole ich.
    Diesmal nickt sie nicht.
    »Ich bin Todd.«
    »Ich weiß.«
    Sie schaut um Haaresbreite an mir vorbei.
    »Du kannst also reden?«
    Sie wirft mir nur einen flüchtigen Blick zu. Ich drehe mich um und spähe zur Brücke, die immer noch brennt, blicke auf den Rauch, der sich wie eine Nebelbank zwischen uns und das Flussufer gelegt hat, und ich weiß nicht, ob ich mich jetzt besser fühlen soll. Ich weiß nicht, ob es besser ist, den Bürgermeister und seine Leute zu sehen oder nicht. »Das war ...«, setze ich an, sie aber steht auf und streckt die Hand nach der Tasche aus.
    Erst jetzt merke ich, dass ich die Tasche noch in der Hand halte, und reiche sie ihr.
    »Wir sollten weitergehen«, sagt sie. »Weg von hier.«
    Ihre Aussprache ist komisch, ganz anders als meine, anders als in Prentisstown. Sie bewegt ihren Mund so seltsam, wenn sie die Laute formt, so als ob ihre Lippen von oben auf die Laute herabgleiten, sie in die richtige Form pressen, als ob sie ihren Lippen erst beibringen müsse, was sie zu sagen haben. In Prentisstown spricht jeder, als müsse er sich von hinten an die Worte heranschleichen. Als wolle er sie aus dem Hinterhalt erschlagen.
    Manchee ist Viola noch immer nicht ganz geheuer. »Weg«, sagt er und schaut an ihr hinauf, als könne man sie fressen.
    Jetzt scheint der Augenblick gekommen, in dem ich beginnen könnte, sie alles Mögliche zu fragen. Jetzt, da sie spricht, könnte ich sie mit jeder Frage löchern, die mir einfällt, könnte sie fragen, wer sie ist, wo sie herkommt, was ihr zugestoßen ist, und diese ganze Fragerei würde meinen Lärm übertönen, würde auf sie einprasseln wie eine Salve Schrotkügelchen. Aber ich will so viel auf einmal fragen, alles will zur selben Zeit aus meinem Mund sprudeln, lauter völlig unbedeutende Worte, sodass am Ende überhaupt kein Laut hervordringt.
    Sie hängt sich die Tasche über die Schulter und steht einen Augenblick mit gesenktem Kopf da, dann geht sie an mir vorbei, geht an Manchee vorbei, geht einfach weiter.
    »Hey!«, rufe ich.
    Sie bleibt stehen und dreht sich um.
    »Warte auf mich.«
    Ich schultere den Rucksack und taste nach dem Messer im Futteral. Dann rücke ich den Rucksack zurecht und sage: »Komm weiter, Manchee«, und los geht’s, den Weg hinauf, ihr hinterher.
    Auf dieser Seite des Flusses verläuft der Pfad in einer leichtenKurve von den Klippen weg, er führt in eine Art Buschland und beschreibt einen

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