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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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weder du noch dein Hund mir in die Quere kommen.«
    Francia verabschiedet sich, Ivan nimmt mich mit in die Scheune, deutet auf einen Besen, und ich mache mich an die Arbeit. So verbringe ich meinen ersten Tag in Farbranch: in einer dunklen Scheune, in der nur am anderen Ende ein Spalt blauer Himmel bei der Tür zu sehen ist, Staub von einer Ecke in die andere kehrend.
    Was für ein Vergnügen.
    »Kacken, Todd«, sagt Manchee.
    »Nicht hier drin, untersteh dich!«
    Es ist eine ziemlich große Scheune, vielleicht 75 bis 80 Meter lang, und etwa zur Hälfte vollgestellt mit Körben. In einem Teil der Scheune stapeln sich Pressballen mit Silagefutter bis an die Decke und in einem anderen dicke Weizengarben, die darauf warten, zu Mehl verarbeitet zu werden.
    »An wen verkauft ihr das Zeug?«, rufe ich zu Ivan.
    »Plaudern können wir später«, ruft er zurück.
    Ich sage kein Wort, aber noch ehe ich es verhindern kann, schwappt etwas sehr Ungehobeltes in meinem Lärm hoch und ich mache mich rasch wieder ans Fegen.
    Der Morgen tröpfelt dahin. Ich denke an Ben und Cillian. Ich denke an Viola. Ich denke an Aaron und den Bürgermeister. Ich denke an das Wort »Armee« und mein Magen verkrampft sich dabei.
    Ich weiß auch nicht.
    Irgendwie ist es nicht richtig, hier aufgehalten zu werden. Nicht nach all dieser Rennerei.
    Alle tun so, als wären wir in Sicherheit, aber ... ich weiß auch nicht.
    Manchee trottet zum hinteren Tor rein und raus, während ich fege, hin und wieder jagt er rosafarbene Falter, die ich aus den hintersten Ecken aufscheuche. Ivan hält sich von mir fern und ich mich von ihm, aber ich bemerke, wie die vielen Leute, die zu ihm ans Tor kommen und Körbe abliefern, in das Halbdunkel spähen, um einen Blick auf mich zu werfen, mich, den Prentisstown-Jungen.
    Sie hassen Prentisstown, das habe ich mittlerweile kapiert. Auch ich hasse Prentisstown und ich habe mehr Grund für meinen Kummer als sie alle.
    Im Laufe des Morgens fallen mir manche Dinge auf. Obwohl Männer und Frauen schwere Arbeit tun, sind es doch meist die Frauen, die Anweisungen erteilen, und meist Männer, die sie ausführen. Und da Francia die stellvertretende Bürgermeisterin ist und Hildy was weiß ich nicht was, drängt sich mir der Schluss auf, dass in Farbranch die Frauen das Sagen haben. Ich höre ihre Stille, wenn sie draußen vorbeigehen,und ich höre im Lärm der Männer, wie sie darauf reagieren, manchmal entrüstet, meistens jedoch gelassen.
    Zudem ist Männerlärm hier sehr viel verhaltener als das, was ich gewöhnt bin. Bei so vielen Frauen in unmittelbarer Nähe wäre der Himmel in Prentisstown voll von Lärmfetzen, in denen Frauen ohne Kleider die erstaunlichsten Dinge tun. Und tatsächlich hört man hier und da etwas in der Art, Männer sind eben Männer, aber meistens sind es Lieder oder Gebete, oder die Gedanken drehen sich um die Arbeit, die gerade verrichtet wird.
    Sie sind ruhig hier in Farbranch, aber auch ein wenig unheimlich.
    Hin und wieder versuche ich Viola zu hören (besser gesagt: sie nicht zu hören).
    Aber da ist nichts.
    Um die Mittagszeit taucht Francia auf und bringt ein belegtes Brot und einen Krug Wasser.
    »Wo ist Viola?«, frage ich sie.
    »Gern geschehen«, erwidert Francia.
    »Was ist gern geschehen?«
    Francia seufzt und sagt: »Viola ist im Garten und sammelt Fallobst ein.«
    Ich würde sie gern fragen, wie es Viola geht, aber ich tue es nicht, und Francia weigert sich, die Frage in meinem Lärm zu lesen.
    »Wie kommst du voran?«, fragt sie stattdessen.
    »Ich kann verdammt noch mal mehr als nur kehren.« »Sprich nicht so, Bengel. Keine Sorge, du wirst noch richtig schuften.«
    Sie bleibt nicht lange, sondern geht zum Tor, spricht kurzmit Ivan, und dann ist sie auch schon wieder weg, um den Geschäften eines stellvertretenden Bürgermeisters nachzugehen.
    Was soll ich sagen? Es ist eigenartig, aber irgendwie mag ich sie. Vielleicht weil sie mich an Cillian erinnert und an seine Art, die mich immer so zum Wahnsinn getrieben hat. Erinnerungen können manchmal ganz schön blöd sein.
    Ich mache mich über das Brot her und bin eifrig am Kauen, als ich Ivans Lärm näher kommen höre.
    »Ich fege die Krümel später weg«, sage ich rasch.
    Zu meiner Überraschung lacht er auf eine raue Art. »Ich bin sicher, das tust du.« Er beißt von seinem eigenen Brot ab. »Francia sagt, heute Abend ist eine Dorfversammlung«, verkündet er nach einer Weile.
    »Geht es um mich?«
    »Um euch beide. Um dich und das

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