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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Mädchen. Und darum, dass ihr aus Prentisstown kommt.«
    Sein Lärm ist seltsam. Behutsam und kräftig zugleich. Und er forscht mich aus. Feindseligkeit lese ich nicht darin, zumindest nicht mir gegenüber, trotzdem sickert da etwas heraus.
    »Werden wir die anderen Dorfbewohner kennenlernen?«, frage ich.
    »Schon möglich. Alle reden nur noch von euch.«
    »Wenn es zu einer Abstimmung kommt«, sage ich und kaue auf meinem Brot herum, »dann steht es für mich nicht zum Besten.«
    »Du hast Hildy auf deiner Seite«, sagt er. »In Farbranch zählt das sehr viel.« Er schluckt seinen Bissen hinunter. »Und die Menschen hier sind freundlich und gut. Wir haben schon früher Leute aus Prentisstown bei uns aufgenommen. In letzter Zeit nicht mehr, aber früher in den schlechten Zeiten.«
    »Im Krieg?«, frage ich.
    Er sieht mich an, sein Lärm versucht herauszufinden, was ich weiß. »Ja«, sagt Ivan schließlich. »Im Krieg.« Er sieht sich wie beiläufig um, aber ich habe das Gefühl, er will nur prüfen, ob wir allein sind. Dann richtet er seinen Blick auf mich. Es ist ein Blick, der nach etwas sucht. »Allerdings ... «, sagt er zögernd, »sind nicht alle ein und derselben Meinung.«
    »Worüber?«, frage ich. Sein Blick gefällt mir nicht. Das Knistern in seinem Lärm auch nicht.
    »Über das Vergangene.« Er spricht gedämpft, seine Augen bohren sich in meine, und er beugt sich näher zu mir heran.
    Ich lehne mich zurück. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Prentisstown hat immer noch Verbündete«, flüstert er. »An Orten, wo man sie gar nicht vermuten würde.«
    In seinem Lärm tauchen Bilder auf, ganz klein nur, so als würde sein Lärm nur zu mir allein sprechen, sie werden deutlicher, sie leuchten, sind nass, werden schnell, die Sonne scheint rot...
    »Welpen! Welpen!«, bellt Manchee aus einer Ecke. Ich springe auf. Auch Ivan erschrickt und die Bilder in seinem Lärm erlöschen jäh. Manchee bellt weiter, und dann höre ich ein Kichern, das nicht von ihm kommt. Ich sehe mich suchend um.
    Eine Schar Kinder kniet auf dem Boden und späht durch ein loses Brett in der Holzwand. Sie lächeln, lachen vor Aufregung, schubsen sich gegenseitig näher ans Guckloch.
    Und sie zeigen auf mich.
    Sie sind so klein. So klein.
    Wirklich, das muss man gesehen haben.
    »Raus mit euch, ihr Ratten!«, ruft Ivan, aber sein Tonfall und auch sein Lärm sind heiter, alle Spuren des Vorherigen sind verschwunden. Mit lautem Kreischen laufen die Kinder in alle Richtungen davon.
    Und dann sind sie weg.
    Man könnte meinen, ich hätte sie mir nur ausgedacht. »Welpen, Todd!«, bellt Manchee. »Welpen!«
    »Ich weiß«, sage ich und kraule seinen Kopf. »Ich weiß.« Ivan klatscht in die Hände. »Die Mittagszeit ist vorüber.
    Zurück an die Arbeit.« Er sieht mich noch einmal bedeutungsvoll an, ehe er wieder ans vordere Scheunentor eilt.
    »Was war das denn jetzt?«, frage ich Manchee.
    »Welpen«, murmelt er und vergräbt sein Gesicht in meiner Hand.
    Der Nachmittag kommt und er ist nicht anders als der Morgen: Ich fege, es kommen Leute vorbei, ich mache eine Pause, in der ich einen Schluck Wasser trinke und Ivan kein Wort zu mir sagt, ich fege.
    Eine Zeit lang denke ich darüber nach, was wir als Nächstes tun sollen. Falls es überhaupt ein Wir gibt. Farbranch wird über unser Schicksal befinden, und bestimmt wird Viola bleiben dürfen, bis ihr Schiff kommt, das ist ja sonnenklar, aber was ist mit mir?
    Und falls ich bleiben darf, will ich es überhaupt?
    Und dann mein Auftrag, die Leute hier zu warnen.
    Sobald ich an das Buch denke, fängt mein Magen an zu brennen, also denke ich an etwas anderes.
    Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis die Sonne untergeht. Ich habe verdammt noch mal alles gefegt, was zu fegen ist. Ich habe mich durch die ganze Scheune durchgearbeitet,sogar mehr als einmal, ich habe die Körbe einmal gezählt und dann noch ein zweites Mal, ich habe versucht das lose Brett zu reparieren, obwohl es mir niemand aufgetragen hat. Irgendwann ist so ziemlich alles erledigt, wenn man in einer Scheune festsitzt und nicht herauskann.
    »Wohl wahr«, sagt Hildy, die plötzlich neben mir steht. »Niemand sollte sich an andere heranschleichen«, sage ich. »Besonders nicht ihr stillen Leute.«
    »Bei Francia zu Hause wartet eine Mahlzeit auf dich – und Viola. Warum gehst du nicht rüber und isst etwas?« »Während ihr eure Versammlung abhaltet?«
    »Während wir unsere Versammlung abhalten, Frischling«, sagt Hildy.

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