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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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ein doppelschneidiger Zeremoniendolch, mit kunstvoll verziertem Griff.
    Der Mann grinste: »Du hast jemand anderen erwartet.« Seine Stimme veränderte sich mit jedem Wort, wurde tiefer und melodischer, bis nichts mehr darin an Max erinnerte. »Eine Weile trug ich die Gestalt dieses Jungen, jetzt ist das nicht mehr nötig.«
    Die Gestalt dieses Jungen?
    Nur langsam erfasste ich den Sinn seiner Worte. Und plötzlich begriff ich, was mit Max’ Leichnam nicht gestimmt hatte. Der Geruch. Ich hatte Max noch einen Tag, bevor wir seine Leiche gefunden hatten, gesehen. Niemand verweste innerhalb von ein paar Stunden. Schon gar nicht bei diesem Wetter. Auf dem Dachboden jedoch hatte es gerochen, als läge Max bereits seit einer Woche dort. Was vermutlich auch der Fall war.
    »Sie sind der Hexer«, stellte ich fest. »Calder Ravenwood.«
    »Kluges Mädchen.«
    Seine Magie musste ihn in die Lage versetzt haben, Max’ Aussehen und damit seinen Platz einzunehmen. Nachdem er ihn umgebracht hatte.
    Ich spähte an ihm vorbei, um mir einen Überblick über meine Umgebung zu verschaffen. Ich saß an der hinteren Wand eines großen Raumes, neben mir lag mein Rucksack. Wände und Böden waren aus Holz, vor der hinteren Wand stapelten sich ein paar Möbel, davor lagen magische Utensilien aufgereiht. Ein großes Pentagramm war mit roter Farbe im Zentrum des Raumes auf den dunklen Holzboden gemalt worden, jeder Zacken mit den Zeichen einer alten, arkanen Schrift ausgefüllt. Und um den fünfzackigen Stern herum war ein großer Kreis aufgemalt worden, dessen äußere Linien von kleineren Kreisen durchbrochen wurden, deren Bedeutung ich nicht einmal erahnen konnte. Dies hier war nicht das Werk eines Zauberers, sondern das eines Hexers. Geborene Zauberer arbeiteten nicht mitPentagrammen und auch nicht mit roter Farbe. Eine Farbe, in die vermutlich das Blut des Hexers gemischt war. Das war Blutmagie. Jene Form der Zauberei, die sich ihre Stärke durch den Lebenssaft des ausübenden Hexers erkaufte. Eine Opfergabe, um die fehlende Magie zu kompensieren und die Mächte gewogen zu stimmen, die ihre Energie in den Zauber lenken und ihn funktionieren lassen würden.
    So, wie das Pentagramm aussah, musste Ravenwood schon länger daran arbeiten. Den ganzen gestrigen Tag, während er die Leute in dem Glauben gelassen hatte, er – Max – sei in einer Familienangelegenheit unterwegs.
    Zu meiner Linken erhob sich ein Tresen, dahinter erblickte ich eine kleine Küchenzeile, daneben eine Tür, hinter der sich vermutlich eine Speisekammer verbarg. Auf der rechten Seite führte eine weitere Tür in einen Gang, in dem ich den Zugang zu Bad und Schlafzimmer und den Ausgang vermutete. Hinter mir und auf der gegenüberliegenden Seite durchbrachen jeweils zwei große Fenster die Wand.
    Hütten wie diese gab es in dieser Gegend häufig. Die meisten wurden als Jagdhütten genutzt, manche auch an Touristen vermietet. Nach der Ausstattung zu schließen tippte ich auf Letzteres.
    Einen Moment noch ruhte Ravenwoods Blick auf mir, dann wandte er sich ab und setzte seine Ritualvorbereitungen fort. Ich war mir sicher, dass er den Übergang der Seele in meinen Körper beschleunigen und mein Ich damit auslöschen wollte.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
    Er griff nach einem Karton mit Kerzen und machte sich daran, sie aufzubauen. An jede Spitze des Pentagramms eine. »Ich habe gespürt, wie Lavinia mich rief. Also bin ich ihr gefolgt.«
    Es sah ganz danach aus, als konnte mich dieser Tage wirklich jeder aufspüren.
    »Sie kann mit Ihnen kommunizieren? Wenn ich bei Bewusstsein bin?«
    Calder platzierte die letzte Kerze im Pentagramm und sah auf. »Nicht so, wie wir jetzt kommunizieren. Es sind eher Gefühle, die sie aussendet. In diesem Fall ein Drang, mich zu sehen. Nonverbale Kommunikation, wenn du es so willst.« Der leere Karton flog zur Seite. »Ich war beschäftigt und wollte erst gar nicht reagieren, dann jedoch spürte ich, dass sie sich von mir entfernte. Das konnte ich nicht ignorieren.«
    »Wäre aber besser gewesen«, sagte ich.
    »Hör zu, Mädchen.«
    »Raine. Mein Name ist Raine. Vergessen Sie das nicht, wenn Sie versuchen mich auszulöschen.«
    Er ging vor mir in die Hocke und legte mir die Hände auf die angezogenen Knie. Ich schob sie fort. »Du brauchst keine Angst zu haben. Es wird nicht wehtun. Du wirst überhaupt nichts spüren.«
    Ich würde nur mich selbst verlieren. »Warum ich?«
    »Das war so nicht geplant.«

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