Die Fluchweberin
Überbleibsel. Dann rückte ich meine Tasche auf meiner Schulter zurecht und ging ihm entgegen.
»Ich wollte noch ein wenig Luft schnappen«, behauptete ich.
Mr Cranston warf einen Blick über meine Schulter, ehe er sich ein Stück nach vorne beugte und die Luft vor meinem Gesicht einsog. »Du hast doch nicht etwa geraucht, oder? Du riechst nicht nach Zigaretten, aber falls doch …«
»Nein, ich rauche nicht. Nur frische Luft. Ehrenwort.«
Nach einem weiteren Blick über meine Schulter nickte er. »Wie läuft es mit deinem Schützling?«
»Gut.« Viel zu gut.
Seite an Seite gingen wir zum Haupthaus. Statt den Weg zu nehmen, den ich gekommen war, betraten wir das Gebäude durch eine Seitentür. Mr Cranston hielt mir den Türflügel auf und ließ mich hinein. »Ich weiß, dass du mich dafür verflucht hast, dass ich dir den Jungen zugeteilt habe.«
Bei dem Wort verflucht erstarrte ich innerlich. Bis mir bewusst wurde, dass er es in einem völlig anderen Zusammenhang meinte.
»Ich glaube, dass dir ein wenig mehr Gesellschaft guttun wird.« Ich setzte zu einem Widerspruch an, aber MrCranston ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. »Ja, ich weiß, du hast Freunde. Aber mal ehrlich, die drei, mit denen ich dich hin und wieder sehe, sind doch bestenfalls eine Art Alibi, damit ich dich nicht zur Psychologin schicke, oder?«
Konnte dieser Mann meine Gedanken lesen?
»Am Anfang vielleicht«, räumte ich ein, da ich wusste, dass es sinnlos war, etwas anderes zu behaupten. »Aber sie sind okay. Nett. Es macht Spaß, mit ihnen herumzuhängen.«
Er musterte mich so eindringlich, als versuchte er die Lüge hinter meinen Worten zu enttarnen. »Benimm dich einfach ein wenig mehr wie ein Teenager, dann muss ich mir nicht so viele Sorgen um dich machen.« Mit diesen Worten ließ er mich stehen und verschwand in dem Gang, der zu seinem Büro führte.
Eine Weile stand ich da und starrte ihm nach. Das war knapp gewesen. Wenn er die Zeichen gesehen hätte … Was, wenn er noch einmal nach draußen ging, um sich auf der Suche nach Zigarettenkippen genauer umzusehen? Ich spielte mit dem Gedanken, zurückzugehen und die Sachen verschwinden zu lassen, über die ich die Erde geschoben hatte, verwarf die Idee aber gleich wieder. Die Zeichen waren zerstört und ein Räucherstäbchen und eine Kerze waren nichts Verbotenes, sondern etwas, das jeder zweite Teenager in seinem Zimmer hatte. Wenn ich jetzt noch einmal hinausging und er mich erneut erwischte, würde mich das viel verdächtiger machen, als wenn er die Sachen zufällig fand.
Ich redete mir ein, dass nichts passieren würde, und machte mich auf den Weg zum Speisesaal. Wie üblich wartete Skyler vor der Tür auf mich. Schon von Weitem sah ich, dass er mich ausgiebig musterte, und mir entging auch nicht der kurze Schatten, der über seine Augen huschte, als ich vor ihm stehen blieb und mir ein »Guten Morgen« abrang.
Er hob die Hand, als wolle er über meine Wange streichen, so wie er es gestern getan hatte, ließ sie dann aber wieder sinken. »Wie fühlst du dich?«
»Wie sehe ich aus?«
»Höflich oder ehrlich?«
»Ehrlich.«
»Ziemlich mitgenommen.«
Ich zuckte die Schultern. »Ich werde es überleben.« Immerhin war es nicht die erste Nacht, in der ich schlecht geschlafen hatte. Nur die erste Nacht, in der es schlimmer gewesen war als gewöhnlich. Und die erste, nach der ich aufgewacht war und einen Typen im Garten bei einem Ritual erwischt hatte.
»Kann ich irgendetwas für dich tun?«
Seine Besorgnis und der beinahe schon zärtliche Blick, mit dem er mich bedachte, verursachten mir einen Kloß im Hals. Ich schluckte ihn herunter und versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu verdrängen, auf denen ich mich in seinen Armen sah. Gestern hatte ich mich so geborgen gefühlt und ich hatte mir wirklich gewünscht, dass es zwischen uns funktionieren könnte. Doch wem wollte ich etwas vormachen? Geheimnisse waren eine schlechte Basis für eine Beziehung und die Wahrheit war in meinem Fall nun wirklich keine Option.
Da ich meiner Stimme im Augenblick nicht traute, schüttelte ich nur den Kopf und würgte etwas heraus, von dem ich hoffte, dass es wie ein »Danke« klang.
Während des Frühstücks und in den ersten Schulstunden spürte ich immer wieder Skylers Blicke. Tatsächlich schien es mir, als würde er mich kaum einen Moment aus den Augen lassen. In der Pause brachte er mir eine Tasse dampfenden Tee und drückte sie mir mit den Worten »Das wird dir guttun« in die
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