Die Fluchweberin
meine Versuche, ihn loszuwerden, hatten nur dazu geführt, dass er mir näher und näher gekommen war. Ich hatte zugelassen, dass er sich in meine Gedanken schlich und sich einen Platz in meinem Herzen eroberte. Natürlich liebte ich ihn nicht, dafür kannte ich ihn zu wenig, mein Herzklopfen zeigte mir jedoch, dass ich dabei war, mich Hals über Kopf zu verknallen.
Nur zehn Zentimeter trennten unsere Gesichter jetzt noch voneinander. Und unsere Lippen. Ich wollte diesen Kuss, wollte in den Arm genommen werden und zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Nähe und Geborgenheit spüren. Ich wollte Skyler. Aber ich konnte das nicht zulassen. Etwas wie damals mit Jake durfte mir nicht noch einmal passieren. Nie wieder!
Ich schluckte.
»Danke, dass du mich da rausgeholt hast.«
Für einen Moment zog ein Schatten über Skylers Augen. Dann setzte er sich aufrecht hin, ohne jedoch meine Hand freizugeben. »Manchmal ist es doch nicht schlecht, eine Klette wie mich zu haben.«
»Du bist keine Klette, du hast nur eine Tendenz, dich für die falschen Leute zu interessieren.«
Einmal mehr sah er mich mit diesem intensiven Blick an, der mich von innen zu wärmen schien und meinen Herzschlag antrieb. »Glaub mir, ich kann sehr gut erkennen, wer für mich gut oder schlecht ist.« Seine Stimme klang rau und zugleich voller Gefühl. Er hob die Hand und ließ sie einen Moment neben meinem Gesicht in der Luft schweben, als sei er sich nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte. Er strich mir kurz über die Wange und ließ seine Hand dannso liegen, dass mein Gesicht in seiner Handfläche ruhte. Ich schloss die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, musste ich einmal tief durchatmen, um meine Gedanken wieder klarzubekommen und die Sehnsucht zu verdrängen, die mehr und mehr die Oberhand gewann. »Ich glaube, du solltest jetzt gehen. Wenn dich jemand hier erwischt …«
Er lächelte. »Manche Strafen sind es wert, auf sich genommen zu werden.«
»Skyler.«
Die Enttäuschung kehrte in seine Züge zurück. »In Ordnung, ich gehe. Aber nicht meinetwegen, sondern nur, weil ich nicht will, dass du Ärger bekommst.« Er strich mir noch einmal über die Wange, dann zog er seine Hand zurück. »Bist du sicher, dass du allein klarkommst?«
Ich nickte.
»Falls nicht.« Er schnappte sich einen Stift und einen Block von meinem Schreibtisch und kritzelte etwas darauf. »Meine Handynummer. Egal, was – egal, wann. Wenn du mich brauchst, ruf an. Versprichst du mir das?«
»Ja.«
An der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu mir herum. »Wenn es dir schlechter geht …«
»Rufe ich dich an«, vollendete ich seinen Satz.
»Gute Nacht.«
Ein letztes Lächeln, dann war er fort und ließ mich mit einem Gefühl der Verwirrung und Einsamkeit zurück. Solange er bei mir gewesen war, war alle Angst, die ich während der letzten Stunden durchgestanden hatte, in den Hintergrund gerückt. Da war nur er gewesen und dieses Gefühl der Geborgenheit, das seine Nähe in mir weckte. Von dem Strudel aus Gedanken und Gefühlen überfordert, den Skyler in mir auslöste, streckte ich mich auf meinem Bett ausund starrte an die Decke. Wie nah konnte ich Skyler an mich heranlassen? Gab es eine Möglichkeit, mit ihm zusammen zu sein, ohne Gefahr zu laufen, dass er die Wahrheit über mich herausfand? Vielleicht fand ich einen Weg, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe gab.
8
Dieses Mal waren die Albträume besonders schlimm. Wie jede Nacht sah ich Dad sterben, doch statt wie gewöhnlich an dieser Stelle aufzuwachen, hielt mich der Traum gefangen. Eingesperrt in die enge Finsternis des Schrankes, der zugleich mein Versteck und mein Gefängnis war, verfolgt vom endlosen Widerhall des Schusses und Moms Schreien. Ich glaubte zu fühlen, wie die Wände im Dunkeln immer näher rückten und die Luft regelrecht aus dem Raum trieben. Nicht mehr lange und sie würden mich zerquetschen. Ächzend wand ich mich, warf mich von einer Seite zur anderen in der Hoffnung, ich könne mich freistrampeln, doch die Wände kamen näher. Ich konnte ihren Druck auf meiner Haut bereits spüren.
Mit einem unterdrückten Schrei fuhr ich hoch und sah mich um. Nacht. Mein Zimmer. Meine Möbel. Die Wände dort, wo sie hingehörten. Schweißgebadet und zitternd saß ich da und zwang mich ruhig zu atmen, bis sich mein Herzschlag beruhigte.
Als ich aufstehen und zum Fenster gehen wollte, wäre ich um ein Haar über die Laken und die Decke gestolpert, in deren Stoffen ich mich
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