Die Fluchweberin
Hand. Seine Sorge und die Art, wie er sichum mich kümmerte und versuchte mir zu helfen, machten es mir noch schwerer, den Abstand zwischen uns zu wahren.
Immerhin gab sich Kim alle Mühe, meine Wut auf sie am Brodeln zu halten. Wann immer sie mit ihrem Gefolge meinen Weg kreuzte, steckten sie tuschelnd und kichernd die Köpfe zusammen. Und jedes Mal wurde ich ein Stück zorniger.
Nach der Mittagspause stand Mathe auf dem Stundenplan. Skyler und ich erreichten Mr Cranstons Klassenraum gleichzeitig mit Kim und ihren Freundinnen. Zofen wäre wohl passender, denn sie erfüllten Königin Kim jeden Wunsch, trugen ihr ihren Krempel hinterher und erledigten sogar Botengänge für sie.
»Riecht es hier nach Waschmittel?« Michelles Lachen klang hart und gehässig.
Kim sog schnuppernd die Luft ein. »Nein, das ist nur Raine. Ich glaube, sie hat die Hosen voll.«
Das reichte! Ich fuhr herum, bereit, sie anzuschreien oder ihr eine reinzuhauen, vielleicht auch beides, doch Skyler packte mich am Arm und zog mich ins Klassenzimmer. Ich stemmte mich gegen seinen Griff, aber er ließ nicht locker.
»Sie ist es nicht wert, dass du dir ihretwegen Ärger einhandelst«, sagte er leise.
Die Wärme seiner Hand, die noch immer auf meinem Arm lag, gepaart mit der Ruhe seiner Worte dämpften meine Wut. Zumindest so weit, dass ich Kim nicht mehr ins Gesicht springen wollte.
Mr Cranstons Stunde ging an mir vorbei, ohne dass ich viel davon mitbekam. Immerhin schaffte ich es, mir die Aufgaben zu notieren, die wir bis zur nächsten Stunde erledigen sollten. So nett Cranston auch sein mochte, wenn man seine Hausarbeiten nicht erledigte, konnte er ziemlich unausstehlich werden.
Da ich keine Lust auf einen weiteren Zusammenstoß mit Kim und ihrem Zickengeschwader hatte, ließ ich mir nach der Stunde Zeit, meine Unterlagen zusammenzupacken. Skyler war vorgegangen, um seine Geschichtsunterlagen zu holen, die er in seinem Zimmer vergessen hatte. Ich kramte in meiner Tasche, sortierte Papiere und tat beschäftigt. Erst als die Letzten aus dem Zimmer waren, stand ich auf und schulterte meine Tasche.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein Blitzen auf dem Boden und drehte den Kopf in die Richtung. Da lag ein Schmuckstück unter dem Tisch. Als ich näher kam, erkannte ich das Medaillon, das Kim vor ein paar Tagen so stolz überall herumgezeigt hatte. So wie es aussah, hatte sie den Verschluss nicht richtig geschlossen.
Ich wollte mich schon umdrehen und es einfach liegen lassen, als mir eine Idee kam. Das war die Gelegenheit, auf die ich gewartet hatte. Meine Chance, mir Kim in Zukunft vom Hals zu halten.
Mit einem raschen Blick vergewisserte ich mich, dass ich wirklich allein war, dann hob ich das Schmuckstück auf und ließ es in meine Tasche gleiten. Als ich das Zimmer verließ, stieß ich in der Tür mit Skyler zusammen. Hatte er etwas gesehen? Und wenn schon! Ich konnte schließlich immer noch behaupten, dass ich Kim das Schmuckstück bringen wollte.
Skyler jedoch schien nichts gemerkt zu haben. Er hielt einen Hefter in die Luft. »Die Unterlagen waren doch in meiner Tasche. Lass uns was trinken gehen, bevor die Stunde anfängt.«
Zu Beginn der Geschichtsstunde bemerkte Kim, dass ihre Kette verschwunden war. Sie durchsuchte ihre Taschen und fragte jeden, ob er das Medaillon gesehen hatte, bis Mrs Miller sie zur Ordnung rief. Kaum war die Stunde vorbei, sprang sie auf und stürmte aus dem Zimmer.
Den Rest des Tages hatten wir keinen gemeinsamen Unterricht, sodass ich sie erst beim Abendessen wieder sah. Sie wirkte so bedrückt, dass sie mir fast schon wieder leidtat. Aber nur fast. Falls Max verärgert über den Verlust der Kette war, zeigte er es nicht. Stattdessen tröstete er seine Freundin und versicherte ihr, dass die Kette wieder auftauchen würde.
»Die macht vielleicht ein Theater wegen dieser blöden Kette«, meinte Ty. »Als ob es die Kronjuwelen wären.«
Lily nickte. »Im Kunstunterricht hat sie sich jeden geschnappt und gefragt, ob sie das Ding gesehen hätten. Nell konnte gar nicht so schnell antworten, wie Kim sie bei den Schultern gepackt hatte. ›Na los, denk nach!‹, hat sie sie angefahren und geschüttelt. Die hat sie doch nicht mehr alle.«
Mercy schien die Einzige zu sein, die zumindest ein bisschen Verständnis für Kim aufbrachte. Und das, obwohl sie genauso wenig Grund dafür hatte wie wir alle. Auf mich mochte es Kim am meisten abgesehen haben, doch auch Mercy, Lily und Ty wurden regelmäßig Opfer ihres
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