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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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die einmal gesprochenen Worte zurückzunehmen. In diesem Fall jedoch war es etwas anderes, denn es war kein so simpel gestrickter Fluch, mit dem ich Kim belegt hatte. Ich hatte ihn durch einen Gegenstand und ihre Haare an Kim gebunden. Auf diese Weise würde er nicht von selbst verschwinden.Dazu brauchte es ein wenig mehr als ein paar neutralisierende Worte.
    Nachdem es mir schon nicht gelungen war, die Verbindung zwischen uns und unseren Auren zu trennen, wollte ich dieses Mal kein Risiko eingehen. Ich würde das volle Programm durchziehen, um diesen Fluch aufzulösen – samt Worten, Mondlicht und Ritual.
    Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf Kims Aura. Sie war noch immer braun, doch der Farbton hatte sich weiter verändert, war weniger lebendig als beim letzten Mal. Fast schien es, als sei er von einem dunklen Schleier überlagert. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Braun war nicht nur das Zeichen eines schlechten Charakters, sondern stand auch für Krankheit. Warum war ich nicht schon viel früher darauf gekommen? Immerhin hatte ich tagelang beobachtet, wie Kim Aspirin in sich reinstopfte. Da hatte ich ja ganze Arbeit geleistet. Ich hatte es nicht nur geschafft, den Fluch komplett zu versauen und mich damit selbst in die Bredouille zu bringen, sondern mein Opfer auch noch krank zu machen.
    Es war wirklich höchste Zeit, dem ein Ende zu setzen.
    Ein dünner weißer Rauchfaden stieg aus dem Aschenbecher in die Luft. Die Kräuter brannten schnell, mir blieb nicht mehr viel Zeit. Ich reckte die Arme seitlich von mir, Handflächen nach oben, die Finger gespreizt. Eine Geste des Loslassens.
    Dieses Mal stellte ich mir nicht nur Kims Aura vor und wie ich sie von meiner trennte, sondern rief mir die Fäden ins Gedächtnis, die ich mit meinem Fluch darin eingewoben hatte. Je stärker ich mich konzentrierte, desto deutlicher waren die silbernen Gespinste erkennbar. Ich hatte das Muster meines Fluchs vor mir, jetzt brauchte ich es nur noch zu lösen.
    Ich atmete in langen, regelmäßigen Zügen ein und aus, bis sich mein Herzschlag beruhigte und ich vollkommen auf das Netz aus silbernen Fäden fokussiert war. Dann begann ich sie zu durchtrennen. Mit der Kraft meiner Gedanken löste ich einen nach dem anderen, trennte sie auf wie eine misslungene Stickerei, bis das Silber nach unten fiel und verglomm. Nun blieb nur noch Kims Aura übrig, frei von meinem Fluch.
    »Ich gebe deinen Geist und deinen Willen frei«, sagte ich und griff nach der Tüte. Ich schüttete Kims Haare auf meine Hand und schloss meine Finger darum, damit der Wind sie nicht fortwehte. »Dein Wille ist frei, dein Geist gehört dir allein. Du hast die Kontrolle über dein Denken und Handeln.« Ich hielt die Haare über die Kräuterschale, so dicht, dass sie Feuer fingen. Sobald sich die Flammen daran entlangfraßen und sie verzehrten, ließ ich sie zu den Kräutern in die Schale fallen. »Ich gebe deinen Geist und deinen Willen frei.«
    Dreimal noch wiederholte ich die Worte.
    Dann erloschen die Räucherstäbchen und die brennende Kräutermischung. Der Wind nahm ihren Geruch auf und trieb ihn davon, bis nur noch das feuchte Aroma des Waldes und der Wiese in meine Nase stieg.
    Es war vollbracht. Der Fluch war gelöst.

 14 
    Obwohl die Nacht dank meines Ausflugs noch kürzer als gewöhnlich gewesen war, fühlte ich mich am nächsten Morgen großartig. Mit einer ausgedehnten heißen Dusche verdrängte ich die letzten Erinnerungen an die Kälte, die mir seit meiner Rückkehr in den Knochen steckte, und machte mich guter Dinge auf den Weg zum Speisesaal. Für die Zukunft nahm ich mir vor, Rituale nur noch durchzuführen, wenn ich eine Niederschrift mit genauen Anweisungen hatte, die ich Schritt für Schritt befolgen konnte. Keine Experimente mehr. Nie wieder. Ab sofort würde ich Kim ignorieren, ganz egal was sie sagte oder tat. Stattdessen wollte ich mich mehr auf Skyler konzentrieren – und darauf, herauszufinden, wie er wirklich zur Magie stand. Deshalb würde ich die Idee verfolgen, die ich gestern gehabt hatte, bevor ich in den Wald aufgebrochen war.
    Beim Frühstück saßen wir mit Mercy, Ty und Lily zusammen, sodass sich keine Gelegenheit bot. Trotzdem war ich nicht ungeduldig. Fast war es, als hätte der aufgehobene Fluch nicht nur Kim befreit, sondern auch eine Last von mir genommen. Ich genoss es, mit den anderen zusammenzusitzen, mich zu unterhalten und Scherze zu machen. Für gewöhnlich saß ich nur dabei und lachte an den

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