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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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langsam, um nur ja keinen Laut zu verursachen, drehte ich mich herum. Die Wiese war verlassen, lediglich von vereinzelten Nebelschwaden durchzogen, die sich wie ein heller Flaum über den Boden ausbreiteten. Wenn mich jemand verfolgte, verbarg er sich in denselben Schatten, in denen auch ich Schutz gesuchte hatte. Reglos verharrte ich an Ort und Stelle, lauschte in die Stille und kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, die Dunkelheit mit meinem Blick zu durchdringen. Erfolglos. Wenn mein Verfolger – so er denn existierte – sich nicht durch ein Geräusch verriet, würde ich ihn vermutlich nicht einmal bemerken, falls er in diesem Augenblick unmittelbar neben mir stünde.
    Ich wartete noch eine Weile ab, aber ich fühlte mich nicht länger beobachtet. Die Geräusche jedoch blieben präsent. Allerdings schienen sie tiefer aus dem Wald zu kommen. Das Rascheln von Laub, das Knacken von Ästen – Geräusche, wie sie Tiere verursachten. Ich gestattete mir aufzuatmen. Vermutlich war es nur ein Kaninchen, das sich über die Wiese ins Unterholz geflüchtet hatte.
    Ein Kaninchen, das mich angestarrt hatte?
    Was auch immer ich gehört oder gespürt hatte, es war verschwunden. Ich harrte noch einmal etwa drei Minuten aus, die sich wie Stunden anfühlten, dann setzte ich michwieder in Bewegung. Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, um so wenige Geräusche wie möglich zu verursachen. Immer wieder hielt ich mitten im Schritt inne und lauschte, doch da war nichts mehr. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und ging zügig weiter.
    Nach etwa zweihundert Metern kam eine kleine Einbuchtung, die auf eine zur Wiese hin halb offene Lichtung führte. Der perfekte Ort. Ich ließ das offene Gelände hinter mir und suchte mir einen Platz am Rande der Lichtung, an dem ich einerseits von den Bäumen zur Wiese hin abgeschirmt wurde, andererseits aber mitten im Mondlicht sitzen konnte. Dort ließ ich mich im Schneidersitz nieder und öffnete den Leinenbeutel.
    Der Boden war feucht vom Tau und schon bald kroch die klamme Kälte durch die Kleidung unter meine Haut. Ich gab mir alle Mühe, sie zu ignorieren, konnte aber ein leichtes Zittern nicht unterdrücken.
    Ich stellte den Aschenbecher vor mir auf die Erde, schnappte mir einen dünnen Ast und begann jene Zeichen ins Erdreich zu ritzen, die ich schon früher bei meiner Mom beobachtet und später auch in alten Schriften gesehen hatte – Zeichen des Schutzes und der Verstärkung. Das Mondlicht war hell genug, um mich mein Werk deutlich erkennen zu lassen, trotzdem vergewisserte ich mich mehrfach, dass ich keinen Fehler gemacht hatte. Es war bereits genug schiefgegangen, einen weiteren Fehler konnte ich mir nicht erlauben.
    Während ich meine Vorbereitungen traf, die Kräutermischung in den Aschenbecher füllte und die Räucherstäbchen außerhalb des Kreises, den ich mit meinen Zeichen gezogen hatte, in den Boden steckte, zog der Nebel über die Lichtung herein. Wabernde Schwaden, die sich wie weiße Finger auf die Bäume zu und zwischen ihnen hindurch tasteten.
    Ich gab mir alle Mühe, den Schauder zu ignorieren, den mir der Anblick des Nebels über den Rücken jagte, und fuhr mit meinen Vorbereitungen fort. Der Ruf eines Käuzchens durchschnitt die Stille und traf mich so unerwartet, dass ich das Feuerzeug fallen ließ. Schnell hob ich es wieder auf und wischte es an meiner Hose sauber.
    Ein Stück hinter mir knackte ein Ast. Ich fuhr herum und hätte um ein Haar meine ganzen Aufbauten umgerissen. Es gelang mir gerade noch, meine Beine zurückzuziehen und zu verhindern, dass ich die Zeichen in der Erde verwischte.
    Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich in die Dunkelheit hinter mir und wartete. Auf ein Geräusch oder dass jemand zwischen den Bäumen herausstürmen und sich auf mich stürzen würde.
    Nichts geschah.
    »Okay«, sagte ich zu mir selbst und zuckte zusammen. Meine Stimme klang viel zu laut in der nebligen Stille. »Bring es einfach hinter dich und dann verschwinde von hier.«
    Ich legte das Tütchen mit den Haaren auf meinen Schoß, holte sie aber noch nicht heraus aus Angst, sie an den Wind zu verlieren. Dann entzündete ich nacheinander die Kräutermischung in der Schale und die Räucherstäbchen. Der würzige Geruch der Kräuter mischte sich mit dem schweren Aroma der Räucherstäbchen.
    Eigentlich war es ganz einfach, einen Fluch aufzuheben. Wenn man nicht warten wollte, bis er von selbst verblasste und schließlich verschwand, brauchte man lediglich

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