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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Haare in ein kleines Tütchen und packte sie zusammen mit einem Feuerzeug, Räucherstäbchen, einem kupfernen Aschenbecher (ein Aschenbecher war wesentlich unauffälliger als eine Kräuterschale) und einer Mischung getrockneter Kräuter, die ich für Notfälle wie diesen in einem Beutel an die Unterseite meiner Schreibtischschublade geklebt hatte, in einen Leinenbeutel.
    Jetzt kam der schwierigste Teil – ich musste warten, bis es im Haus still geworden war und ich auch nicht Gefahr lief, einem der Lehrer in die Arme zu laufen, wenn ich mich nach draußen schlich.
    Ich hätte Hausaufgaben machen, für den Geometrietest nächste Woche lernen oder irgendetwas anderes Sinnvolles erledigen können, während ich wartete. Aber ich schaffte es nicht, mehr zu tun, als auf dem Bett zu sitzen und alle drei Minuten auf die Uhr zu sehen. Auf diese Weise können sich zwei Stunden endlos in die Länge ziehen.
    Ich starrte auf das gerahmte Foto auf meinem Nachttisch und wünschte mir die Zeit zurück, bevor ich meine Eltern verloren hatte und mein Leben den Bach runtergegangen war. Damals war alles in Ordnung gewesen. Normal. Und heute? Sicher, ich hatte gelernt, mich zu schützen. Allein zu sein, bedeutete zu überleben. Die Frage war nur, was war so ein Leben wert? Trotzdem hatte ich mich damit abgefunden. Bis Skyler aufgetaucht war und alles auf den Kopf gestellt hatte.
    Sobald meine Gedanken zu Skyler wanderten, spürte ich ein Kribbeln in meinem Innersten. Dieser Kuss war unglaublich gewesen. So ganz anders, als ich erwartet hatte. Gefühlvoll und voller Zärtlichkeit.
    Ich ließ mich nach hinten aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Bei der nächsten Gelegenheit musste ich mehr über seinen Hang zur Magie erfahren. Dieses Mal würde ich auf Nummer sicher gehen und mir alle Zeit der Welt nehmen, um herauszufinden, ob er wirklich nichts gegen Magie hatte. Am Ende fand er Magie zwar spannend, würde es aber mit der Angst zu tun bekommen, wenn er auf einen echten Zauberer stieß. Ich musste zuerst alle Möglichkeiten ausschließen, die mich gefährden konnten, bevor ich mich ihm anvertraute. Und ich wusste auch schon wie.
    Während ich noch Pläne schmiedete, schritt die Zeit voran. Zwei Stunden waren seit Beginn der Nachtruhe verstrichen, genug Zeit, um mich hinauszuwagen.
    Ich tauschte meine Bluse gegen einen dunkelblauen Kapuzenpullover und meine Lederschuhe gegen Sneakers. Mit dem Leinenbeutel in der Hand ging ich zur Tür und horchte. Alles ruhig. Vorsichtig zog ich die Tür auf und spähte auf den Gang. Im spärlichen Schein der Notbeleuchtung war niemand zu sehen.
    Ich huschte über den Flur zu den Treppen und nach unten in die Eingangshalle. Immer wieder ließ ich meinen Blick nach allen Seiten wandern. Die Unterkünfte der Lehrer lagen in einem anderen Gebäude, trotzdem trieben sie sich manchmal in der Nacht in den Wohnhäusern der Schüler herum, um nachzusehen, ob alles still war. Als ob Miss Weldon nicht reichte. Die Hausvorsteherin hatte die Angewohnheit, sich zu den unmöglichsten Zeiten auf den Gängen herumzudrücken. Oder die übereifrigen Stockwerksaufseher der Oberstufe.
    Heute war niemand zu sehen.
    Ich verließ das Haus durch eine Seitentür und schlich auf der Seite in den Garten, auf der ich auch den Kerl mit dem Ritual beobachtet hatte. Obwohl es hier keine Laternen gab wie auf der anderen Seite des Hauses, war es hell genug. Der Vollmond legte einen Teppich fahlen Lichts über den Rasen, lediglich durchbrochen von den langen Schatten der Bäume und Sträucher. Mein Blick wanderte über die Hauswand nach oben, an den Fenstern entlang. Nirgendwo brannte noch Licht. Trotzdem war es gefährlich, hierzubleiben. Wenn jemand aufwachte und einen Blick aus dem Fenster warf, würde mich der Schein des Mondes verraten. Natürlich gab es auch abgeschirmte Orte auf dem Gelände, an denen man mich von den Gebäuden aus nicht sehen konnte, doch dort breiteten sich die Schatten aus. Ich brauchte das Mondlicht.
    Meine Augen blieben an der Mauer hängen. Ich musste nach draußen. In den Wald. Noch einmal vergewisserte ich mich, dass mich niemand bemerkt hatte, dann lief ich los. Mein Ziel war die Mauer im rückwärtigen Teil des Anwesens, weit genug von der Zufahrt entfernt und so abgelegen, dass sie von keinem der Häuser aus eingesehen werden konnte. Zum Glück lag Holbrook Hill so abgelegen, dass sich niemand über Einbrecher Gedanken machte – und auch nicht über Sicherheitsvorkehrungen. Kein Stacheldraht,

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