Die Fluchweberin
schien. Tatsächlich tat sie das Geschehene als eine Art Verirrung ab, nach der sie jetzt wieder wusste, wo ihr Platz war. Sie schien gut darin zu sein, sich etwas einzureden, denn plötzlich spürte ich eine innere Zufriedenheit, die vor ein paar Sekunden noch nicht da gewesen war und die noch weiter verstärkt wurde, als sie Max ansah. Wie konnte sie so zufrieden sein? Wenn ich Max betrachtete, sah ich etwas in seinen Blicken und Gesten, das gestern noch nicht da gewesen war. Etwas, das wie ein Schatten über ihm lag und verhinderte, dass sein Lächeln seine Augen erreichte.
Kim war allerdings der Ansicht, dass er keine Probleme damit haben würde, sich mit der alten Kim anzufreunden.
Die alte Kim wird nicht mehr lange existieren.
Die Worte ließen mich zusammenfahren. Das waren nicht meine Gedanken und es war auch nicht Kims Stimme, die ich da vernahm. Der Ton war ein vollkommen anderer; aggressiv und feindselig.
Kims Blick verschwamm für einen Moment, ehe sie ihn wieder fokussierte und erneut auf Michelle richtete, die noch immer über Kleider plapperte.
Dieses Weibsvolk will ich nie wieder sehen, wenn ich endlich am Ziel bin. Es klang verächtlich und beinahe schon hasserfüllt, die Wortwahl altertümlich und angestaubt. Das konnte unmöglich von Kim kommen. Aber wenn sie es nicht war und ich auch nicht …
Während ich noch versuchte, die Stimme einzuordnen, spürte ich, wie ein Teil von Kim innehielt. Ihr Blick war noch immer auf Michelle und die anderen gerichtet, doch da war noch etwas, das sich voll auf mich konzentrierte. Etwas, dem meine Anwesenheit nicht entgangen war. Kim hatte mich nicht bemerkt.
Sieh an, wir sind hier nicht allein , vernahm ich die Stimme erneut. Wer bist du, kleine Zauberin?
Kleine Zauberin? Ich erstarrte. Wie konnte sie von meiner Magie wissen und davon, dass ich in ihrem Geist gefangen war? Das war unmöglich. Sie konnte nicht mich meinen. Verflucht, sie dürfte mich nicht einmal spüren! Vorhin war es mir doch auch nicht gelungen, Kontakt zu Kim aufzunehmen.
Während ich mich noch fragte, was vor sich ging, stand Kim auf. Statt jedoch ihr Tablett zu nehmen und es fortzubringen, blieb sie vor ihrem Stuhl stehen und ließ ihren Blick langsam durch den Saal wandern. Als sich ihre Augen auf mich richteten, hielt sie inne.
Da bist du ja.
Mich selbst zu sehen und gleichzeitig angesprochen zu werden, war ein eigenartiges Gefühl. Es war, als würde sich die Welt um mich herum schlagartig schneller drehen. Eine Welle der Panik und Hilflosigkeit erfasste mich. Ich hätte schreien wollen. Oder davonlaufen. Doch ich war weiter in Kims Geist gefangen und konnte nichts anderes tun, als mich selbst beobachten. Fast glaubte ich zu spüren, wie Kims Blick meinen wehrlosen Körper durchbohrte. Auf einmal verspürte ich einen heftigen Druck im Kopf, der wie eine Migräneattacke hinter meinen Augen explodierte. Meine Sicht verschwamm. Es fühlte sich an, als würde mir jemand einen Stoß verpassen. Und plötzlich war ich aus Kims Geist zurück in meinem eigenen Körper. Entgeistert starrte ich Kim an, die noch immer an ihrem Tisch stand und mich mit ihren Blicken durchbohrte.
Cin sagte etwas zu ihr, und als sie nicht sofort reagierte, zupfte Cin sie am Ärmel. Ein Ruck durchfuhr Kim, sie blinzelte. Dann wirbelte sie herum und stürzte aus dem Speisesaal.
Ich sprang auf und lief hinterher. Als ich den Saal verließ, sah ich sie gerade noch um die Ecke verschwinden. Meine Schritte hallten von den Steinwänden wider, als ich ihr im Trab folgte. Schlitternd lief ich um die Biegung und blickte auf einen leeren Gang. Lediglich eine leise zuklappende Tür wies mir den Weg.
Der Waschraum.
Ohne nachzudenken, riss ich die Tür auf und stürmte hinein. Kim stand am Waschbecken und stützte die Hände auf das Porzellan. Ihre Arme zitterten, ihr Atem ging in kurzen, heftigen Stößen, und der Schweiß in ihrem Gesicht hatte das Make-up verschmiert und zerstörte ihre sorgfältig zurechtgemachte Fassade.
Mit einem raschen Blick vergewisserte ich mich, dass wir allein waren. Ich packte sie am Arm und zwang sie, sich zu mir herumzudrehen. Kleine Zauberin. Irgendwie hatte Kim herausgefunden, was ich war. Wenn sie mich verriet, war ich geliefert.
»Du darfst niemandem davon erzählen!«, verlangte ich.
Sie kniff die Augen zusammen. »Nimm deine Pfoten weg.«
»Kim, das ist kein Spaß!«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Mach das nie wieder.« Sie wischte meine Hand von
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