Die Fluchweberin
ein. Sie sprachen von Klamotten und Styling und von einer bevorstehenden Party. Was mich erstaunte war, dass Kim den beiden ebenso wenig zuhörte, wie ich es tat. Ich konnte spüren, wie schlecht es ihr ging – Kunststück, fühlte ich mich doch genauso wie sie.
Sie presste die Hände gegen die Schläfen, wobei sie sich alle Mühe gab, nicht leidend, sondern gelangweilt zu wirken. Warum fühle ich mich plötzlich so merkwürdig? , fing ich einen weiteren ihrer Gedanken auf.
Ob ich mich ihr bemerkbar machen konnte, solange ich mich in ihrem Geist befand? In diesem Zustand hatte ich keine Sprache und auch keine Kontrolle über irgendwelche Bewegungen – ich war nichts weiter als ein hilfloser Beifahrer. Ein blinder Passagier. Aber wenn ich mich konzentrierte, könnte ich vielleicht …
Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich die Augen geschlossen. Da das nicht ging, blieb mir nichts anderes, als die Umgebung ebenso auszublenden, wie Kim es getan hatte, und mich voll auf sie zu konzentrieren. Kim? , formte ich in Gedanken.
Ich erhielt keine Reaktion.
Auch die nächsten Versuche blieben erfolglos.
Als Kims Blick von ihren Freundinnen hinüber zu meinem Tisch wanderte, jubilierte ich innerlich. Ich hatte sie erreicht!
Die letzten Tage waren wirklich merkwürdig.
Waren die Gedanken an mich gerichtet?
Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Ich verstehe noch immer nicht, wie ich mich mit diesen Losern einlassen konnte. Als wäre ich eine verdammte Samariterin. Keine Ahnung, welcher Teufel mich da geritten hat, aber es wird ganz sicher nicht noch einmal vorkommen. Ihr Blick richtete sich auf mich. Es war ein Schock, mich so zu sehen, während ich in Kims Geist festsaß. Ich saß zurückgelehnt da, die Cola noch immer in der Hand, den Blick ins Nichts gerichtet, als sei ich tief in Gedanken versunken. Was ich ja auch war, nur dass es nicht nur meine eigenen Gedanken waren.
Der wenige Schlaf der letzten Nacht und die Aufregung der vergangenen Tage hatten Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Meine Güte, ich sah aus wie ein Zombie! Es grenzte an ein Wunder, dass noch keinem der Anwesenden mein leerer Blick aufgefallen war.
Mit so etwas habe ich gesprochen , haderte Kim mit sich selbst. Sie hatte meine Stimme nicht gehört. Dann hätte sie anders reagiert. Du meine Güte, was ich ihr alles erzählt habe!
Deine halbe Lebensgeschichte! Vielleicht war das Wissen um ihre Vergangenheit meine Möglichkeit, sie mir vom Hals zu halten. Ich könnte ihr androhen, ihren Freundendavon zu erzählen, wenn sie mich nicht in Ruhe ließ. Wenn es hart auf hart kam, könnte ich sogar behaupten, ein paar Fotos im Internet gefunden zu haben. In den sozialen Netzwerken würden sich bestimmt Bilder von ihr auftreiben lassen, die sie lieber für sich behalten wollte. Damit wäre ich aus dem Schneider, ganz ohne Fluch!
Blieb noch diese verflixte Verbindung. Wäre ich in diesem Moment in meinem eigenen Körper gewesen, hätte ich vermutlich frustriert mit dem Kopf gegen die Tischplatte geschlagen. Ich wusste wirklich nicht, was ich noch anstellen sollte, um sie endlich loszuwerden.
Kims Blick kehrte zu ihrem eigenen Tisch zurück und streifte über Michelle, Tanya und Cin hinweg. Das sind meine Freunde , sagte sie sich. Hier gehöre ich hin. Die Entschlossenheit, die ihre Gedanken begleitete, konnte die Resignation nicht verbergen, die sich dabei in ihr ausbreitete. Als wären die drei Zicken eine Einbahnstraße, die sie nicht mehr verlassen konnte. Vielleicht waren sie das tatsächlich, denn welche Auswirkungen es hatte, wenn jemand sich von einem Tag auf den anderen plötzlich vollkommen anders verhielt und sich anderen Menschen zuwandte, hatte ich ja während der letzten Tage beobachten können. Das erforderte eine Menge Mut – und auch wenn Kim nicht wirklich zufrieden wirkte, so fehlte es ihr an eben diesem Mut, um etwas daran zu ändern. Sie würde nie mit Leuten herumhängen, die sie als Loser betrachtete, aber es gab noch andere Mädchen auf der Schule, Mädchen, die eher eine neutrale Position innehatten, denen sie sich anschließen konnte. Dazu müsste sie allerdings erst einmal selbst erkennen, was sie wirklich wollte, und bereit sein, ihre Stellung als Queen von Holbrook Hill aufzugeben.
Als ich ihre nächsten Gedanken auffing, wurde mir klar, dass sie es nicht begriff. Für sie war es lediglich ein latentes Gefühl der Unzufriedenheit, das sie als eine Nachwirkung der Ereignisse der letzten Tage zu betrachten
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