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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Aura legte und sie wie ein Leichentuch bedeckte. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Während das Braun ein Zeichen von Krankheit war, stand Grau für Angst oder einen schlechten Charakter. Was immer es war, das diese Veränderung bewirkte, es hatte nichts mit meinem Fluch zu tun. Diese Erkenntnis beruhigte mich allerdings nur zum Teil, denn sie bedeutete auch, dass, was auch immer mich mit Kim verband, nicht von mir ausging. Obwohl die Oberfläche ihrer Aura glatt wie die ruhige See war und sich keine Fäden daraus erhoben oder sich gar erneut mit meiner eigenen Aura verbunden hatten, wusste ich, dass die Verbindung immer noch existierte. Nicht nur, weil ich ihr heute Mittag einmal mehr zum Opfer gefallen war, sondern, weil ich sie spüren konnte. Es war wie ein unsichtbares Band. Solange ich nicht wusste, auf welchem Weg es geschaffen worden war, war es mir unmöglich, etwas dagegen zu unternehmen.
    Ich wusste ja nicht einmal, ob Kim nun besessen war oder ob diese andere Präsenz, die durch sie gesprochen hatte, ineiner ähnlichen Verbindung zu ihr gefangen war wie ich selbst.
    Kim schien tatsächlich keine Ahnung von meiner Magie zu haben, zumindest zeigte sie es mit keiner Regung. Dieses andere Wesen hingegen … Ob ich einen Fluch weben konnte, der es die Wahrheit über mich vergessen lassen konnte? Andererseits war der letzte Fluch bereits nach hinten losgegangen. Jeder weitere magische Eingriff würde alles womöglich nur noch schlimmer machen. Ich wusste ja nicht einmal, was da in Kims Geist saß – oder ob ich es dorthin gebracht hatte.
    Ich wurde mit einem Ruck aus der Aurensicht gerissen, als Skyler mich in die Seite stieß. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Mir ist schlecht.« Es war der Versuch, meine Ausrede mit dem schlechten Mittagessen aufrechtzuerhalten, doch kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, wurde mir klar, dass mir tatsächlich übel war. Diese Hilflosigkeit machte mich verrückt.
    Nach der letzten Unterrichtsstunde sagte ich Skyler, dass ich nicht wie gewohnt mit ihm in die Bibliothek gehen und stattdessen einen Spaziergang machen würde. Er bot mir an, mich zu begleiten, doch ich lehnte ab. Ich musste versuchen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das konnte ich nur, wenn ich allein war.
    Es war ein wolkiger Tag. Die Luft war feucht und kalt, was vermutlich einer der Gründe war, warum ich den weitläufigen Garten fast für mich allein hatte. Ich folgte einem Kiesweg, der mich immer weiter vom Haupthaus und den Nebengebäuden wegführte, marschierte an den dichten Reihen von Haselsträuchern vorüber, die den Weg wie eine Mauer säumten. Sobald sich eine Lücke fand, zwängte ich mich hindurch. Mein Faltenrock blieb an einem Ast hängen. Ich zerrte so heftig daran, dass die Nähte protestierendächzten. Der Stoff hielt jedoch und eine Sekunde später trat ich zwischen den Sträuchern hervor, auf die dahinterliegende Wiese. Im Sommer saßen hier oft Schüler auf dem Rasen, besonders Pärchen, die ein wenig ungestörte Zweisamkeit suchten, und sonnten sich. Heute war es zu kalt, sodass ich die Einzige auf der Wiese war. Meine Schuhe gaben bei jedem Schritt leise Schmatzlaute von sich, als ich das feuchte Gras überquerte. Ich wollte spazieren gehen, aber jetzt ertappte ich mich dabei, wie ich auf den alten Schuppen nahe der Außenmauer zuhielt, der als Lager für Gartengeräte und Feuerholz diente. Ein Ort, an den sich nur wenige Schüler verirrten. Der ideale Platz, um allein zu sein.
    Ich umrundete den Schuppen und tauchte in die Schatten, die sich zwischen der Mauer und der hölzernen Wand auftaten, vor der mannshoch Holzscheite aufgestapelt waren. Es war kühl und ich war froh, dass ich mich heute Morgen für meinen Pullover statt für eine Bluse entschieden hatte. Trotzdem konnte auch der Wollblazer nicht verhindern, dass es mich fröstelte.
    Auf einmal hatte ich das Gefühl, nicht länger stehen zu können. Ich setzte mich auf den Hackstock und streckte die Beine aus. Obwohl ich mich kraftlos fühlte, schaffte ich es nicht, stillzusitzen. Ich wackelte mit den Beinen, halb aus unterdrückter Nervosität, halb, um mich warmzuhalten.
    Ich musste herausfinden, was mit Kim passiert war. Zu dumm nur, dass ich hier draußen im Nirgendwo keine Möglichkeit hatte, Nachforschungen anzustellen. Im Internet waren alle Seiten über Magie gesperrt und ich war ziemlich sicher, dass im Büro des Direktors sofort ein Dutzend Alarmsirenen schrillen würden, wenn man auch nur einen

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