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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Versteck stand, desto mehr drängte sie sich in mein Bewusstsein. Zitternd verfluchte ich mich dafür, meine Jacke in den Rucksack gestopft zu haben, statt sie anzuziehen. Was hatte ich mir dabei gedacht? Dass ich vor dem Anwesen in ein geheiztes Taxi steigen und mich in ein sicheres Versteck kutschieren lassen konnte? Das Einzige, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen konnte, war wohl, dass ich in Fluchtversuchen ausgesprochen ungeübt war.
    Ich schob meine klammen Finger unter die Achseln, um sie zu wärmen, und widerstand dem Drang, meine Jacke aus dem Rucksack zu holen. Die Gefahr, dass Skyler mich hörte, war einfach zu groß.
    Ich verlor jedes Zeitgefühl. Es mochten Sekunden oder auch Stunden vergangen sein, seit ich mich zwischen den Bäumen versteckt hatte. Am wahrscheinlichsten warenwohl Minuten. Um nicht vollends den Überblick zu verlieren, begann ich im Stillen zu zählen. Immer wieder hielt ich inne, von einem Knacken oder Rascheln aufgeschreckt, und fuhr erst fort, wenn ich sicher war, dass ich nicht mehr als die üblichen Geräusche des Waldes gehört hatte.
    Manchmal schummelten sich Gedankenfetzen zwischen die Zahlen, die sich in erster Linie um Skyler drehten. Und darum, dass ich nicht länger auf eine Zukunft mit ihm hoffen konnte. Ich versuchte diese Gedanken ebenso zu ignorieren wie das Brennen in meinen Augen. Was auch immer ich für ihn zu empfinden glaubte, war auf den Lügen aufgebaut, die er mir erzählt hatte. Lügen, mit denen er mich dazu gebracht hatte, ihn zu mögen und mich entgegen aller Vernunft in ihn zu verlieben. Damit er seinen Auftrag leichter ausführen konnte!
    Auf diese Weise verraten zu werden schmerzte. Es tat so viel mehr weh als damals bei Jake. Womöglich hatte ich Jake auch nie so gemocht wie Skyler.
    Ich hatte keine Ahnung mehr, ob ich inzwischen bei dreihundert oder bei vierhundert angekommen war. Allerdings war ich mir mittlerweile sicher, dass mindestens sieben oder acht Minuten vergangen sein mussten, seit ich in die Schatten getaucht war.
    Von Skyler hatte ich nichts mehr gehört, seit er zwischen die Bäume getreten und seine Schritte in der Ferne verklungen waren. Keine Rufe, kein Rascheln. Nichts. Ich konnte hier noch ewig verharren und darauf hoffen, dass er nicht zurückkehrte, oder aber ich wagte den Schritt aus dem Wald hinaus und sah zu, dass ich so schnell wie möglich so viel Abstand wie möglich zwischen Skyler und mich brachte. Der Gedanke, einfach hier auszuharren, erschien mir jedoch nicht verkehrt. Solange ich mich ruhig verhielt, standen meine Chancen gut, weiterhin unentdeckt zu bleiben. WennSkyler seine Suche abbrach, würde er den Wald kaum an derselben Stelle verlassen, an der er ihn betreten hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich hier in Sicherheit befand, war groß. Dagegen sprach die Kälte. Wenn ich mich nicht bald bewegte, würde ich mir eine Lungenentzündung holen. Ganz zu schweigen davon, dass meine Zähne mittlerweile so sehr klapperten, dass ich fürchtete, mein Versteck allein dadurch zu verraten.
    Noch einmal hielt ich den Atem an und konzentrierte all meine Sinne auf meine Umgebung. Ich nahm jeden Laut, jedes noch so kleine Geräusch auf, analysierte es und versuchte es einzuordnen. Nichts von dem, was ich hörte, klang bedrohlich. Zumindest nicht bedrohlicher, als die Geräusche des Waldes für ein Stadtkind wie mich waren. Kein einziger Laut deutete darauf hin, dass Skyler noch immer in der Nähe war.
    Vorsichtig rückte ich meinen Rucksack zurecht, dann schob ich mich um den Baumstamm herum und war mit drei Schritten aus dem Wald. Erleichtert sog ich die Luft ein, als hätten die Bäume meinen Atem gelähmt. Dann machte ich mich auf den Weg, wobei ich sorgfältig darauf achtete, wohin ich meinen Fuß setzte.
    Ich war noch nicht weit gekommen, als ich neben mir ein Knacken im Unterholz hörte – zu laut für ein kleines Tier wie einen Hasen oder gar eine Maus. Ich warf einen Blick über die Schulter. Ein Schatten brach zwischen den Bäumen hervor, keine zehn Meter hinter mir.
    Skyler.
    Ich lief schneller, achtete nicht mehr auf den unebenen Untergrund, dachte nur noch daran, dass ich ihn abhängen musste.
    »Raine, warte!«
    Ich wartete nicht.
    Ein paar Sekunden lang sah es so aus, als würde es mir tatsächlich gelingen, den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Dann jedoch stellte er seine Versuche ein, mich mit Worten zum Stehenbleiben zu bringen, und setzte zum Sprint an. Eine Geschwindigkeit, die er nicht über

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