Die Fluchweberin
die Treppen zu meinem Stockwerk hinauf. In meinem Zimmer verriegelte ich die Tür hinter mir und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Während ich darum kämpfte, wieder zu Atem zu kommen, und darauf wartete, dass das Brennen in meinen Lungen nachließ, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen.
Skyler war ein Sucher. Ich konnte es noch immer nicht glauben. Wollte es nicht glauben. Warum ausgerechnet er? Von allen Menschen musste sich ausgerechnet der, den ich am meisten mochte, als mein größter Feind herausstellen!
Bevor das Einsatzteam der Magiepolizei kam, um mich fortzubringen, könnte ich durch die Gänge laufen, alle Türen aufreißen und den Leuten erzählen, wer Skyler wirklich war. Doch was hätte ich davon? Meine Mitschüler kannten mich als Einzelgängerin, die meisten hielten mich für sonderbar. Diejenigen, die nicht sowieso viel zu verschlafen wären, um meine Worte überhaupt zu begreifen, würden mir nicht glauben.
Und die Magiepolizei würde mich trotzdem holen.
Für mich gab es nur eine Möglichkeit. Ich musste von hier weg. Sofort!
Ich lief zum Schrank, riss meinen Rucksack von der Ablage, stopfte ein paar Klamotten, mein Handy, Geld und Ausweispapiere hinein. Zum Schluss packte ich noch das Foto meiner Familie obendrauf.
21
Den Rucksack in der Hand verließ ich mein Zimmer. Ich rechnete damit, dass Skyler mir auf dem Gang oder im Treppenhaus auflauern würde, doch ich erreichte die Seitentür in den Garten, ohne auch nur eine Spur von ihm zu entdecken. Vermutlich klemmte er noch am Telefon und erzählte dem Leiter des Eingreiftrupps, der mich verhaften würde, alles Wissenswerte über mich. Oder er erwartete mich am Haupttor – das ich ganz sicher nicht benutzen würde. Ich würde über die Mauer klettern, wie vorgestern auch.
Hatte ich mich vorgestern wie ein Dieb in der Nacht gefühlt, so fühlte ich mich jetzt nur noch verfolgt. Ich schlüpfte von Schatten zu Schatten, hielt immer wieder an, um in die Dunkelheit zu lauschen oder nach verräterischen Schatten Ausschau zu halten, die mir folgten.
Im Schutz einer Buche hielt ich inne. Ich war auf dem Weg zum rückwärtigen Teil des Anwesens gewesen, zu der Stelle, an der ich auch vorgestern schon die Mauer erklommen hatte. Von dort mochte man mich von den Gebäuden aus nicht sehen können, wenn Skyler jedoch im Park nach mir suchte, bestand durchaus die Gefahr, entdeckt zu werden, sobald ich die paar Meter offener Wiese zur Mauer hin überwand. Ich musste an einer Stelle nach draußen, die weniger leicht einsehbar war. Und ich wusste auch schon wo.
Ich schlug einen Haken, änderte so meine Richtung und hielt auf den alten Schuppen zu, hinter dem Kim mich angegriffen hatte. Als ich in die Schatten zwischen Rückwand und Mauer tauchte, wurde die Dunkelheit so undurchdringlich, dass ich fast glaubte, sie greifen zu können. Was,wenn ich nicht allein war? Es war so finster, dass ich es erst merken würde, wenn dieser Jemand mich berührte.
Mach dich nicht lächerlich!
Niemand war hier! Weder hinter dem Schuppen noch sonst wo auf dem Gelände. Wenn Skyler wirklich ein Einsatzkommando zur Unterstützung gerufen hatte, waren sie noch nicht da. Ganz sicher wäre mir die Ankunft einer zehn oder mehr Mann starken Truppe nicht entgangen. Sie würden mit Autos kommen, vielleicht sogar mit einem Hubschrauber. Nichts davon geschah unbemerkt, und wenn Skyler nicht ein Team auf Abruf im Wald stehen hatte, würde es einige Zeit dauern, bis sie Holbrook Hill überhaupt erreichten.
Ich warf noch einmal einen Blick nach allen Seiten, was sich in der Finsternis als ausgesprochen sinnlos erwies, dann tastete ich mich bis zur Mauer vor und daran entlang, bis ich dem Schatten des Schuppens gerade weit genug entkam, um zu sehen, wo meine Hände und Beine Halt fänden. Problemlos überwand ich die Mauer. Sobald ich auf der anderen Seite den Rasen unter meinen Sohlen spürte, drängte ich mich mit dem Rücken an die Mauer, verschmolz mit ihrem Schatten und lauschte.
Etwas raschelte im Gras und der Wind strich rauschend durch Büsche und Bäume. Weder Stimmen noch Schritte störten die nächtliche Ruhe. Plötzlich jedoch stand ich vor dem Problem, wohin ich sollte. Bis zum Tagesanbruch musste ich Holbrook Hill so weit wie möglich hinter mir gelassen haben, doch ich konnte weder nach Tavistock, dem nächstgelegenen Ort, gehen, wo sie sicher zuerst nach mir suchen würden, noch in den Wald, in dem ich mir im Dunkeln vermutlich das Genick brechen würde.
Weitere Kostenlose Bücher