Die Fluchweberin
leise an. Mein Blick schoss nach allen Seiten den Gang entlang, aus Angst, jeden Moment Mr Smulders zu entdecken. Vielleicht hörte ich wirklich Schritte, womöglich bildete ich sie mir auch nur ein. In dem Augenblick jedoch, in dem ich glaubte, etwas auf dem Gang zu hören, dachte ich nicht länger nach. Ich öffnete die Tür.
Und erstarrte.
Skyler schien mein Klopfen nicht gehört zu haben. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und wandte mir den Rücken zu. Unter normalen Umständen hätte ich die Muskeln bewundert, die sich bei jeder Bewegung geschmeidig unter der Haut bewegten, doch in diesem Augenblick sah ich nur die Tätowierungen, die seinen Oberkörper von oben bis unten überzogen. Spiralförmige Muster, die es dem Auge unmöglich machten, ihnen zu folgen und die darin verwobenen Buchstaben zu entziffern. Und plötzlich begriff ich, warum er heute Nachmittag beim Basketball kein Trikot angehabt hatte.
Ich kannte diese Art von Tattoos.
Magische Schutzrunen.
So etwas trugen nur Sucher.
Ich musste nach Luft geschnappt oder ein anderes Geräusch von mir gegeben haben, denn plötzlich fuhr er herum.
»Raine. Was machst du hier?«
Er kam auf mich zu und ich wich zurück.
»Sag, dass das nicht wahr ist«, flüsterte ich.
Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, wirkte sein Lächeln nicht echt. »Dass ich ein Tattoofreak bin?«
»Ich weiß, was diese Zeichen bedeuten.«
Ich wollte kehrtmachen und davonlaufen, fort von dem Jungen, der soeben von meinem Freund zum Feind geworden war, doch Skyler war schneller. Er bekam mich am Arm zu fassen. Mit einem Ruck zog er mich ins Zimmer zurück, schlug die Tür zu und drängte mich dagegen. Erst jetzt bemerkte ich die Platzwunde an seiner Stirn. Die Wunde war gereinigt und mit Klammerpflastern versorgt. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos. Nur in seinen Augen schienen die unterschiedlichsten Empfindungen miteinander im Wettstreit zu liegen.
Es fiel mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Um ein Haar hätte ich mich dem Falschen anvertraut! Um Himmels willen, ich hatte darüber nachgedacht, ihm von meiner Magie zu erzählen. Ohne die Erfahrung mit Jake hätte ich ihm längst alles erzählt.
Er stand so dicht vor mir, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte. Vor ein paar Minuten noch hätte mirdas durchaus gefallen. Jetzt jedoch machte mir diese Nähe einfach nur noch Angst.
»Lass mich gehen«, brachte ich hervor.
Er schüttelte den Kopf.
»Wenn du mich nicht augenblicklich loslässt …«
»Dann?«
Ja, was dann? Ich wusste es nicht. Schreien? Um mich schlagen? Zweifelsohne verfügte er über Mittel, mich ruhigzustellen. Vermutlich war das Zimmer ohnehin mit einem Zauber geschützt, der keinen Laut nach draußen dringen ließ. Ausgerechnet die Magiepolizei, die Magie verfolgte und bekämpfte, schützte sich auch damit.
»Dann werde ich an der ganzen Schule verbreiten, was du wirklich bist.« Was. Nicht wer. In dem Moment, in dem ich seine Tattoos gesehen hatte, war er für mich zu einem Ding geworden. Eine Kreatur, ebenso bedrohlich wie die, die mich angegriffen hatte.
Er fuhr zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Ich nutzte den Moment, riss die Tür auf und flüchtete nach draußen. Gänge und Treppen flogen nur so an mir vorüber, als ich aus dem Wohnheim der Jungen rannte.
Skyler würde mir nicht folgen. Er konnte nicht riskieren, dass ich das ganze Haus zusammenschrie. Die Lehrer, zumindest einige von ihnen, mochten wissen, was er war – wenn die Schüler jedoch davon erfuhren, konnte er den Auftrag, der ihn hierhergeführt hatte, vergessen.
Sofern nicht ohnehin ich dieser Auftrag war.
Doch sosehr mich sein Anblick auch entsetzt hatte, so wenig glaubte ich, dass er meinetwegen hier war. Es musste der andere Zauberer sein. Der, dessen Ritualüberreste ich gefunden hatte.
Trotzdem war alles gelogen. Er hatte mir vorgemacht, mich zu mögen, in mich verliebt zu sein. Dabei hatte ernichts weiter bezweckt, als sich in mein Vertrauen zu schleichen. Natürlich kannte er meine Akte und vermutlich hatte er von Anfang an darauf gebaut, dass ich allein wegen meiner Herkunft Kontakt zu anderen Zaubernden hatte. Er mochte anfangs nichts von meiner Magie gewusst haben, spätestens jedoch als ich Kim in seinem Beisein den Ausschlag angehängt hatte, hatte sich das geändert. Ich war zur Zielscheibe geworden.
Ich hatte ihm mein Herz geöffnet! Und er hatte es gepackt und unter seinen Füßen zertreten.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend rannte ich
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