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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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doch?« Bisher war Verlass darauf gewesen, dass er erst spät zu den Mahlzeiten erschien. Seit er jedoch mit Kim Schluss gemacht hatte, war ich mir nicht mehr sicher. Max könnte längst gegessen haben und zurück in seinem Zimmer sein. »Du klopfst an und ich warte in der Putzkammer gegenüber«, schlug ich vor. »Falls er da ist, schleppst du ihn zu einem Fernsehabend, in die Sporthalle oder sonst wohin. Sobald ihr weg seid, sehe ich mich in seinem Zimmer um.«
    Skyler war anzusehen, wie wenig ihm mein Vorschlag gefiel.
    »Du willst, dass ich dir helfe«, fuhr ich fort, bevor er etwas einwenden konnte. »Dann solltest du mich auch lassen. Oder vertraust du mir nicht?«
    »Unsinn!« Er war auf dem Treppenabsatz stehen geblieben, griff nach meiner Hand und zog mich an sich. Mit der freien Hand strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht. »Natürlich vertraue ich dir. Es ist nur so, dass ich vermutlich besser weiß, wonach ich suchen muss.«
    »Berufserfahrung«, vermutete ich und er nickte. »Die hilft dir aber nichts, wenn wir nicht ins Zimmer können, weil Max drin sitzt, wie der Drache auf seinem Hort.«
    Er seufzte. »Du hast ja recht. Meinetwegen. Ich übernehme die Ablenkung, du die Spionage.«
    Wir erreichten Max’ Stockwerk und spähten den Gangentlang. Niemand zu sehen. Mit ein paar schnellen Schritten, bei denen meine Schuhsohlen leise quietschten, während Skyler keinen Laut verursachte, erreichten wir Max’ Zimmer. Skyler stieß die Tür zur Putzkammer auf und schob mich hinein, sorgsam darauf bedacht, meinen Rücken nicht zu berühren. Neben der Tür blieb ich stehen und spähte durch den Spalt auf den Gang hinaus.
    Skyler klopfte an. Als auch nach dem dritten Klopfen niemand reagierte, bedeutete er mir, zu ihm zu kommen. Fasziniert beobachtete ich, wie er ein kleines Mäppchen aus seinem Hosenbund zog, den Reißverschluss öffnete und etwas herauszog, das ich erst auf den zweiten Blick erkannte: einen Dietrich.
    Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte mir mit der Hand auf die Stirn geschlagen. Natürlich sperrte Max ab, wenn er sein Zimmer verließ! Daran hatte ich nicht einmal gedacht, als ich vor nicht einmal zwei Stunden im Begriff gewesen war, mich in sein Zimmer zu schleichen. Mein ganzes Vorhaben wäre bereits an der Tür gescheitert.
    Ein kurzes Klacken und die Tür sprang auf. Skyler schob mich über die Schwelle, schloss die Tür hinter sich und verstaute sein Einbrecherwerkzeug, während ich mir einen ersten Überblick verschaffte.
    Im Gegensatz zu Skylers nüchternem, fast schon spartanischem Zimmer, erinnerte Max’ Bude eher an einen Schrein. Überall an den Wänden hingen Regale, vollgestopft mit Pokalen, Medaillen und gerahmten Siegerurkunden. So wie es aussah, war Max nicht nur im Basketball ein Ass, sondern auch beim Laufen und in der Leichtathletik. Seine Schranktür war über und über mit Bildern tapeziert, die ihn allesamt beim Sport oder einer anschließenden Siegerehrung zeigten. Zwischendrin klafften ein paar Lücken. Vermutlich hatten dort Fotos von Kim gehangen.
    Skylers Blick blieb an dem Laptop auf Max’ Schreibtisch hängen. »Mal sehen, ob wir da etwas finden.«
    Er klappte ihn auf und schaltete ihn ein. »Nicht passwortgeschützt.« Ein zufriedenes Grinsen breitete sich über seine Züge aus. Das Leuchten des Bildschirms tauchte sein Gesicht in gespenstisches Licht. Er drückte ein paar Tasten und klickte sich durch verschiedene Menüs, bis sich Max’ E-Mail-Programm öffnete.
    Ich trat näher an den Schreibtisch heran, um mehr erkennen zu können, als ich schwarze Flecken zu sehen begann, die sich von außen immer weiter nach innen ausbreiteten und mein Sichtfeld mehr und mehr begrenzten, bis die Welt um mich herum in völliger Schwärze versank.
    Die Dunkelheit hüllte mich ein, legte sich mir wie ein Schleier über Augen und Ohren und nahm mir nicht nur mein Augenlicht, sondern auch die Fähigkeit, zu sprechen. Oder mich auf andere Weise bemerkbar zu machen. Nicht einmal den kleinen Finger konnte ich noch rühren, ganz gleich, wie sehr ich es auch versuchte.
    Es war, als hätte mich jemand über den Rand einer Klippe gestoßen. Jetzt fiel ich, stürzte in einen scheinbar bodenlosen Abgrund, ohne zu wissen, wo oben und unten war. Schlimmer noch als die Angst vor dem tödlichen Aufprall war die Finsternis, die mich umfing. Nicht zu wissen, wo ich mich befand, erfüllt von einem Gefühl der Enge, das mir mehr und mehr die Kehle zuschnürte, war eine Form von Horror,

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