Die Fluchweberin
wie ich sie seit dem Tod meines Vaters und dem Verschwinden meiner Mutter nicht mehr erlebt hatte.
Ich taumelte durch die Finsternis, mitgerissen von einer Kraft, die ich weder gerufen hatte noch kontrollieren konnte. Einer Kraft, die mich herumwirbelte, bis mir übel wurde und ich den Aufprall herbeisehnte, der dem Grauen, das mich gepackt hielt, ein Ende bereitete.
Mein Rücken schmerzte ebenso wie meine Oberarme – so sehr, dass ich einen Schrei nicht länger unterdrücken konnte. Der Bann war gebrochen. Mein eigener schmerzerfüllter Ruf hallte in zahllosen Echos in meinen Ohren wider. Die Dunkelheit um mich herum weichte auf, zerfaserte zu grauen Flocken und gab schließlich den Blick auf Skyler frei, der vor mir stand.
Es waren seine Hände, die mir den Schmerz zufügten. Er hielt mich bei den Armen gepackt und schüttelte mich so heftig, dass ich die Erschütterung bis tief in meine Knochen spürte und meine Zähne lautstark aufeinanderschlugen. Stöhnend versuchte ich mich zu befreien und geriet ins Taumeln. Er hielt mich immer noch, doch sein Griff war nicht länger die gnadenlose Umklammerung, sondern lediglich zwei stützende Hände, die verhinderten, dass ich stürzte.
Nur langsam nahm meine Umgebung wieder Konturen an. Wir standen nicht mehr vor Max’ Schreibtisch, sondern am anderen Ende des Zimmers.
Verwirrt blinzelnd sah ich Skyler an. »Was ist passiert?«
»Die Magie hat die Kontrolle über dich gewonnen. Diese fremde Macht. Du hast gesprochen, aber es waren nicht deine Worte.«
»Was habe ich … hat es gesagt?«
»Du hast mich angeschrien, ich solle aufhören, mich in deine Angelegenheiten einzumischen. Ich solle verschwinden. Als ich nicht reagierte, hast du mich angegriffen.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht du – dieses Ding.« Er gab mich so vorsichtig frei, als fürchte er, ich könne jeden Moment zusammenbrechen. Seine Hände waren immer noch in meiner Nähe, bereit mich zu stützen, sollte es nötig sein.
»Kannst du dich an etwas erinnern?«
Ich schüttelte den Kopf. »Da war nur Schwärze. Es fühlte sich an, als würde ich fallen.«
»Hast du … habe ich dir wehgetan?«
Am liebsten hätte ich verneint, es ließ sich jedoch kaum verleugnen, dass ich vor Schmerz geschrien hatte. »Ist schon okay. Aber woher wusstest du, dass es nicht ich war?«
»Abgesehen davon, dass ich dich noch nie so altmodisch habe reden hören? Ich musste dich nur ansehen, um es zu wissen.«
»Es waren meine Augen, oder?«
Er nickte. »Dunkelbraun.«
Ich schluckte. »Und jetzt?«
»Das schönste Grün, das ich kenne.« Seine Fingerspitzen strichen über meine Wange, sein Gesicht kam dem meinen immer näher. Jeden Moment würde er mich küssen. Ich hielt den Atem an, unsicher, ob ich es zulassen oder ihn von mir stoßen sollte. Himmel, ich wünschte es mir so sehr, doch je eher ich aufhörte, ihn an mich heranzulassen, desto leichter würde es mir fallen, mich von ihm fernzuhalten. Als hätte er meinen inneren Kampf gespürt, zog er seine Hand zurück und ging auf Abstand. »Können wir weitermachen? Schaffst du das?«
»Und ob!« Natürlich hatte ich Angst, aber ich musste dieses Ding loswerden, bevor es mich noch einmal in die Schwärze stoßen konnte. Das nächste Mal würde ich vielleicht nicht mehr zurückfinden. Skylers Hand verlieh mir die nötige Entschlossenheit, es hinter mich zu bringen. Seine Berührung war für mich wie ein Anker, der mich im Hier und Jetzt verwurzelt hielt.
Ein paar Sekunden später beugten wir uns wieder über Max’ Laptop. Skyler hatte bereits das Mailprogramm aufgerufen und klickte sich jetzt so schnell durch den Posteingang und verschiedene Ordner, dass ich Mühe hatte, überhaupt etwas auf dem Bildschirm zu erkennen, bevor es wieder verschwunden war.
»Ha! Sieh dir das an!« Er deutete auf die Mail mit dem Betreff Ersteigerung Amulett , die sich unter den gelöschten Mails befand, und öffnete sie. Seine Augen zuckten von einer Seite zur anderen, als er das Dokument überflog. »Bingo!«
Es war eine Kaufbestätigung. Max hatte das Amulett in einem Online-Auktionshaus ersteigert. Sofort öffnete Skyler die nächste E-Mail mit demselben Betreff. Darin bedankte sich Max für die schnelle Lieferung und schrieb dem Verkäufer, dass er es kaum erwarten konnte, das Gesicht seiner Freundin zu sehen, wenn er ihr sein Geschenk übergab. Abgesendet hatte er die Mail an dem Tag, an dem im Sekretariat die Magiesensoren auf die Eingangspost reagiert hatten. Wären wir
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