Die Fluchweberin
und hielt sie fest. Er drückte sein Gesicht in meine Handfläche und ich ertappte mich dabei, wie ich mit dem Daumen über seine Wange strich. »Was war mit deinem Vater und deiner Schwester?«
»Dad ist nichts passiert. Er war gerade im Waschraum, als es geschah. Jill … sie hatte weniger Glück.« Er schluckte schwer. »Manchmal wünschte ich, es wäre ihr ergangen wie Mom, doch Jill hat es überlebt. Die Ärzte haben sie für einige Wochen in ein künstliches Koma versetzt, damit sich ihr Körper von den Verletzungen erholen konnte. Es wärebesser gewesen … Sie sitzt seitdem im Rollstuhl, vom Hals abwärts gelähmt, und an der Stelle ihres Körpers, die sie noch fühlen kann – in ihrem Kopf –, stecken winzige Splitter, die die Ärzte nicht entfernen konnten, ohne dabei ihre Hirnfunktionen zu gefährden. Im Augenblick verursachen sie ihr nur schreckliche Schmerzen, doch eines Tages wird einer dieser Splitter zu wandern beginnen und sie entweder töten, oder Teile ihres Gehirns zerstören.« Seine Augen schimmerten feucht und ich kämpfte gegen den Drang an, ihm eine einzelne Träne von den Wimpern zu küssen, die sich dort sammelte.
»Sie hatte so viele Pläne«, sagte er heiser. »Sie wollte ein Sportstipendium und träumte davon, als Langstreckenläuferin bei den Olympischen Spielen anzutreten. Jetzt kann sie schon froh sein, wenn sie es von einem Zimmer ins andere schafft.« Die Träne löste sich von seiner Wimper und fiel zu Boden. Ein einzelner Tropfen, der sofort in der Erde versickerte. Ich wünschte mir, ebenso spurlos verschwinden zu können.
Skyler nahm meine Hand von seiner Wange, ließ sie aber nicht los. Einen Moment lang betrachtete er unsere ineinander verschlungenen Finger, ehe er mir wieder in die Augen sah. Obwohl ich noch immer den Schmerz darin sah, den die Erinnerung ausgelöst hatte, war sein Blick fest. »Damals habe ich angefangen die Zauberei zu hassen«, sagte er. »Ich habe mir geschworen, alles dafür zu tun, dass anderen Familien ein ähnliches Schicksal erspart bleibt. Gleich nach meinem Abschluss bewarb ich mich bei der Magiepolizei und meldete mich nach der Grundausbildung zu den Suchern.« Sein Blick brannte vor Entschlossenheit. »Ich will nicht andere die Drecksarbeit machen lassen und nur die Verhaftungen durchführen. Ich will derjenige sein, der diese Subjekte aufspürt, bevor sie die Leben Unschuldiger zerstören.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles, was mir durch den Kopf ging, war, wie sehr ich ihn verstand. Wie sehr ich seinen Hass auf die Magie – oder zumindest diesen einen Magier – nachvollziehen konnte. Gleichzeitig spürte ich, wie auch der letzte Hoffnungsschimmer schwand, dass ich ihm jemals die Wahrheit über mich sagen und er sie akzeptieren konnte. Ganz gleich wie viel er auch für mich empfinden mochte, ich war sein erklärter Feind, auch wenn er das im Augenblick noch nicht ahnte. Ich war die Verkörperung dessen, was er zutiefst verabscheute und auszurotten geschworen hatte.
»Hey, kein Grund, so bedrückt dreinzuschauen.« Er drückte meine Hand. »Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen und meinen Weg gefunden, mit alldem fertigzuwerden.«
Vielleicht hatte er das wirklich, doch sein Weg war leider einer, der uns auf verschiedene Seiten zwang.
»Ich bin mir übrigens gar nicht so sicher, ob das Amulett wirklich der Gegenstand ist, nach dem ich suche«, wechselte er abrupt das Thema.
Noch in meinen trüben Gedanken gefangen blinzelte ich verwirrt. »Warum nicht?«
»Mein Sensor springt nicht an. Er hat sich nicht einmal gemeldet, als ich die Kette berührt habe.«
»Was für ein Sensor?«
»Uns Suchern wird ein Sensor unter die Haut implantiert, der zu vibrieren beginnt, sobald wir mit Magie in Kontakt kommen.«
Heilige Scheiße! So oft, wie ich in letzter Zeit auf meine Kräfte zurückgegriffen hatte, grenzte es an ein Wunder, dass ihm das Ding noch nicht um die Ohren geflogen war. »Bezweifelst du etwa, dass das Amulett magisch ist?«
Er rieb sich die verkohlte Stelle an seiner Brust, dort, woder Blitz ihn getroffen hatte. »Ich schätze, das kann ich wohl nicht mehr, oder?«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir machen da weiter, wo ich dich unterbrochen habe«, sagte er. »Wir sehen uns bei Max um.«
24
»Was machen wir, wenn er in seinem Zimmer ist?«, fragte ich, als wir die Treppen im Wohnheim nach oben liefen.
»Er ist nicht da. Es ist Essenszeit. Vielleicht ist er sogar noch im Meeting.«
»Aber wenn
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