Die Fluchweberin
Schritt und Tritt. Er versuchte mich einzuholen, mir nahe zu kommen, doch ich rannte und rannte, bis meine Lungen brannten und meine Beine unter mir nachzugeben drohten. Als mich meine Kräfte verließen und ich in die Knie ging, legte er sich über mich. Dunkelheit hüllte mich ein und nahm mir die Sicht. Ich kämpfte dagegen an, doch je länger unser Kampf andauerte, desto stärker schien er zu werden.
Alles geschah vollkommen lautlos.
Die ganze Zeit über war mir bewusst, dass ich schlief und die Nachtmahre mir nichts anhaben konnten, trotzdem war ich nicht in der Lage, sie abzuschütteln oder die Augen zu öffnen. Zu wissen, dass ich träumte, änderte auch nichts daran, dass mir die Bilder, die mich verfolgten, eine Höllenangst einjagten.
Es ist nur ein Traum , sagte ich mir immer wieder. Nur ein Traum.
Beinahe schien es, als wären es diese Worte, die mir meine geistige Gesundheit bewahrten und verhinderten, dass die Schatten die Oberhand gewannen und mich hinab in die ewige Finsternis zerrten.
Wieder und wieder entzog ich mich dem Schemen, ehe er mich vollends einhüllte. Ich kroch darunter hervor, und als er sich erneut über mich warf, gelang es mir, ihn zurückzustoßen. Ein wütender Schrei durchbrach die Stille des Traums.
Dann veränderten sich die Bilder.
Die Schwärze zog sich zurück und offenbarte den Blick auf die nächtliche See. Der Mond spiegelte sich auf den Wellen und verwandelte die Schaumkronen in eine glitzernde Pracht. Eine körperlose Stimme mischte sich unter das Rauschen des Meeres, vereinte sich mit dem gleichmäßigen Schlagen der Wellen zu einer beruhigenden Melodie. Einer Melodie voller Sehnsucht, deren Schönheit mich lächeln ließ. Unwillkürlich fragte ich mich, ob ich nur im Traum lächelte oder auch in Wirklichkeit. Immer mehr lullte mich die Musik ein und ließ mich tiefer in den Schlaf gleiten. Einen Schlaf, frei von Albträumen, in dem es nichts weiter gab, als die Weite des Meeres und die liebliche Melodie, die von den Wellen an mein Ohr getragen wurde.
Plötzlich drangen Rufe durch die Traumbilder. Lärm. Einzelne Fragmente von Worten. Halb rechnete ich damit,jeden Moment die vertrauten Bilder meiner Kindheit vor mir zu sehen, die Dunkelheit des Schrankes, meinen Vater tot auf dem Boden, den letzten Blick in die erstarrten Züge meiner Mutter, ehe sie sie fortbrachten. Ich wollte aufwachen, wollte mir die Schönheit meines Traumes nicht durch den Schrecken der Erinnerung zerstören lassen, doch die Stimme hielt mich gefangen und versuchte mich weiter in die Tiefen des Schlafes hinabzuziehen.
Immer wieder erklangen Geräusche. Ein Scheppern, als sei etwas umgestürzt, gefolgt von weiteren Rufen. Die Stimme schwoll an, als kämpfte sie darum, den Lärm zu übertönen, der mehr und mehr an mein Ohr drang.
Etwas stimmte nicht.
Jemand versuchte bewusst, mich in den Schlaf zu zwingen, während um mich herum etwas passierte. Ich wusste nicht, was vor sich ging, doch mir wurde schlagartig bewusst, dass es etwas mit mir zu tun hatte. Ich musste aufwachen. Sofort!
Aber es wollte mir nicht gelingen, die Augen zu öffnen.
Der Lärm um mich herum nahm zu, wurde so laut, dass die Stimme nicht länger gegen ihn ankam.
Aufwachen, Raine! Du musst aufwachen!
Ich kämpfte gegen den Schlaf an. Noch immer wollten sich meine Augen nicht öffnen. Mit einer letzten Kraftanstrengung nahm ich all meine Willenskraft zusammen und stieß den Anblick der nächtlichen See ebenso von mir wie die immer weiter anschwellende Melodie, die in ihrem Bemühen, den Lärm zu übertönen, inzwischen selbst so laut geworden war, dass sie mir in den Ohren schmerzte.
Endlich gelang es mir, die Lider zu heben. Das Licht der Deckenlampe blendete mich und ließ meine Augen tränen. Blinzelnd ließ ich meinen Blick den Geräuschen zum Fußende des Bettes folgen und sah, wie Skyler zwei Meterdurch die Luft geschleudert wurde und mit dem Rücken gegen die Wand knallte.
Ein zorniges Kreischen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ruckartig setzte ich mich auf. Am anderen Ende des Raumes, dort, wo Skyler eben noch gestanden haben musste, ehe er durch die Luft gewirbelt worden war, erhob sich die schemenhafte Gestalt einer Frau. Sie war im Begriff gewesen, Skyler nachzusetzen, als sie mich bemerkte und mitten in der Bewegung erstarrte. Wie wabernder Nebel umrahmte ihr Haar das Gesicht. Ein Gesicht, das nur aus Umrissen bestand. Formlos, als müsse sein Erschaffer ihm erst noch seine Konturen verleihen. Dann
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