Die Flüchtlinge des roten Mondes
Handbewegung, und der Bote überreichte ihm einen versiegelten Umschlag. Dravash riß ihn rasch auf, und ein sonderbarer, schwerer, moschusartiger Duft, der nicht unangenehm war, durchströmte den Raum. Dane spürte ein komisches Kitzeln im Rücken, halb angeekelt und halb mit unbewußter, fast rassisch bestimmter Angst erfüllt. Dravash reckte sich mit einem leisen, stöhnenden Ton, und sein Mund öffnete sich zu einem Bellen. Aratak bäumte sich auf. Seine Nüstern schnupperten, als wittere er einen Widersacher, und dennoch hätte Dane schwören können, seine Miene verrate ekstatisches Entzücken.
„Schnell, aus dem Weg“, zischte Rianna, zerrte an seinem Arm, und Dravash schoß mit einem wahnsinnigen Heulen auf das Tor zu, schnell gefolgt von Aratak, der mit ungeheurer Geschwindigkeit hinter ihm herrobbte. Der Bote war zur Seite getreten vor den Reptilien, doch er folgte ihnen eilig durch das Tor hinaus. Dane hörte, wie sie röhrend und schreiend die Straße herabjagten, was den Boden erzittern ließ.
Er starrte ihnen in gelähmtem Entsetzen hinterher.
„Was …“ murmelte er, als er sah, daß sie forttobten wie Jungen auf einem Schulausflug. Er hörte Riannas Kichern und wandte sich ihr fragend zu. „Was hat das zu bedeuten? Sind sie beide verrückt geworden?“
„Das kann man wohl sagen“, kicherte Rianna und wand sich in Lachkrämpfen. „Und das nach allem, was Dravash über die Protosimianer zu sagen hatte!“ Sie hielt sich den Bauch und brach in hysterischem Gelächter fast zusammen. Schließlich hatte sie sich wieder soweit beherrscht, um sagen zu können: „Ich habe vergessen, daß du über die sexuellen Gebräuche der Protosaurier nicht allzu gut Bescheid weißt. Offensichtlich hat man hier ähnliche Gebräuche wie die Sh’fejj, was, wenn man es recht bedenkt, ein Argument zugunsten Anadrigos sein könnte …“
„Worüber, zum Teufel, redest du?“ fragte Dane, und Rianna erklärte es ihm.
„Es sind zyklische Wesen. Wenn ein Weibchen hitzig ist … bei den Sh’fejj findet das etwa alle drei Standardjahre statt … schickt sie an alle bemerkenswerten Männchen in der Nachbarschaft eine Einladung aus. Ich vermute, daß Lady Ooa’hassa, deren Wappen ich auf der Livree erkannt habe, eine Vorliebe für Fremde und wichtige Reisende hat. Und während der nächsten paar Tage hält sie eine kleine, permanente Orgie mit ausgewählten Gästen bei sich ab: In Wirklichkeit ist das sehr vernünftig. Jedes Ei muß nämlich separat befruchtet werden, und so schaffen sie eine maximale genetische Vielfalt. Man kann sehen, daß es für die Männchen überaus anregend ist, so wichtig oder erfolgreich zu sein, um von einem Weibchen von hohem sozialen Status eingeladen zu werden. Diesem Brauch schreibt man einen Großteil des Erfolges zu, den die protosaurische Rasse errungen hat.“
„Aber warum … und was …?“
„Oh, ihr Benehmen? Du weißt doch, welche Sorgen sie sich um die Protosimianer machen. Sie wissen, daß es für uns keine besonderen Zeiten für Sexualverkehr gibt. Daher glauben sie, wir wären genauso wie sie, aber die ganze Zeit über, aufgeladen, rasend und absolut unfähig, an irgend etwas anderes zu denken. Bei ihnen ist es entweder alles oder nichts. Wenn ein Männchen einmal den Duft aufgespürt hat …“
„Ja“, meinte Dane. „Das wollte ich fragen.“
Rianna nahm den geöffneten Umschlag und zog ein reich besticktes seidenes Taschentuch oder einen Schleier heraus. „Das ist … äh … eine Drüsenabsonderung. Wenn ein Weibchen in die Hitzeperiode kommt … also, ganz offen gesagt … wischt sie sich mit den Schleiern ab und schickt sie als Einladungen hinaus.“
Dane lachte herzlich. „Und sie besitzen den Nerv, sich über die Protosimianer Gedanken zu machen!“
Rianna nickte. „Wie ich schon sagte – wenn ein Männchen einmal den Geruch in der Nase hat, interessiert es sich für nichts anderes mehr, bis diese Zeit vorüber ist. Sie essen nicht, schlafen nicht und so weiter, eine ganze Zeit lang.“ Sie schob ihren Arm unter seinen. „Gut, daß deine Geschichte kein sofortiges Handeln erfordert. Dravash und Aratak sind wahrscheinlich in den nächsten zehn Tagen nicht zu gebrauchen.“
Sie starrte auf den Teich, den Aratak verlassen hatte. Plötzlich lachte Dane. Jetzt waren sie wirklich allein. Joda war nämlich wahrscheinlich auf der Suche nach dem Abendessen, das man schon riechen konnte, verschwunden. Nicht einmal die mißtrauischen Protosaurier waren noch
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