Die Flüchtlinge
„Ich habe bisher mit einer ganzen Menge von Leuten zusammengearbeitet, die mächtig zäh waren, aber so etwas wie sie ist mir bisher noch nicht untergekommen. Sie hat den Geist eines Computers und eine Ausdauer, die ihm in nichts nachsteht. Ich glaube, ich würde ihr das übelnehmen, wenn sie nicht so verdammt gut wäre.“
„Mmmm“, machte Quilla. Sie versiegelte den Kasten und stellte ihn in ein Regal.
„Sie hat einen ungeheuren Mumm, diese Mish“, fuhr Hetch fort. „Einen ungeheuren Mumm.“
„Ich weiß. Sie war mal meine Mutter.“
Hetch sah sie überrascht an, dann stand er auf und ging auf sie zu. Er berührte sie an der Wange und sah sie ernst an.
„Du weißt, daß deine Mutter in letzter Zeit eine Menge mitgemacht hat“, sagte er. „Du solltest nachsichtiger sein, Quilla.“
„Nachsichtiger. Zum Teufel. Ich habe meine Kinder seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Ich fange an, mich zu fragen, wie Tabor aussieht. Und ich bin müde.“ Sie produzierte ein schnelles Lächeln. „Ich bin so müde, daß ich schon über meine eigene Zunge stolpere. Ich hab’s nicht so gemeint, Hetch. Sprechen wir nicht mehr darüber.“
Er tätschelte ihre Wange, und Quilla lächelte wieder. Hetch war der einzige Mensch auf Aerie, der es wagen durfte, sie derart onkelhaft zu behandeln – und auch der einzige, der den Mut dazu hatte. Schließlich betrat Mish den Raum. Mim folgte ihr auf dem Fuße. Sie trug ein großes Tablett mit Essen für zwei. Quilla ging hinaus.
Zuerst wollte sie sich ein Bier genehmigen – und dann ein ausgiebiges, heißes Bad in der hölzernen Wanne. Anschließend wollte sie essen und ein Nickerchen machen, bis die Kinder nach Hause kamen. Sie nahm sich ein Bier aus der Küche mit, hängte sich einen Regenmantel um und lief über den nassen Boden zum Badehaus.
Quilla hängte ihre Kleider in einen Spind und ging die Stufen zur Wanne hinauf. Erst dann stellte sie fest, daß dort schon jemand war. Ozchan saß in der riesigen Wanne. Seine Hände umklammerten den hölzernen Rand, und er schien halb zu schweben. Hinter seiner vom Dampf eingehüllten Gestalt erkannte sie einige Kaedos. Ozchan entdeckte sie und machte Platz. Quilla zögerte einen Augenblick, dann glitt sie neben ihm in die Wanne. Das Wasser war so heiß, daß es ihr den Atem nahm.
„Es sind nur fünfzig Grad“, sagte Ozchan. „Kochen tut es noch lange nicht.“
Quilla ging so tief ins Wasser hinein, daß nur noch ihr Kopf im Freien war. Ozchan wechselte neben ihr die Stellung. Heiße, kleine Wellen rollten gegen ihren Körper. Quilla streckte langsam die Beine aus, bis sie auf der Bank am anderen Wannenende ruhten. Ihre Muskeln fingen an, sich zu entspannen.
„Was hast du denn so in den letzten beiden Wochen gemacht?“ fragte sie.
„Mit Hoku Arbeitspläne aufgestellt und mich in die Praxis eingearbeitet. Ich glaube, Ved Hirem hat wirklich Arthritis.“
„Aber kein anderer. Glaubt das, meine ich. Wenn er will, läuft er in Haven noch jedem davon.“
„Aber die Symptome …“
„Die bildet er sich nur ein.“
„Das sagt Hoku auch.“ Ozchan legte seine Arme auf den Wannenrand. Mit einer Hand tastete er nach Quillas Haar. Sie tat, als würde sie es nicht bemerken.
„Und sonst? Was macht Meya?“
„Ich habe sie nur selten gesehen“, sagte Ozchan mit einem Anflug von Unzufriedenheit.
„Sie erholt sich allmählich, Ozchan. Für sie war es schlimmer als für uns!“
„Ich weiß. Aber sie ist meine Frau, verdammt noch mal. Wir sind kaum einen Monat verheiratet. Sie bekommt ein Kind von mir. Ich glaube, daß ich das Recht habe zu wissen, was sie vorhat.“
„Hast du das? Weißt du, das ist eben das Falsche an einer Ehe. Du unterschreibst einen Fetzen Papier und bildest dir augenblicklich ein, jemanden zu besitzen.“
„Ich bilde mir nicht ein, sie zu besitzen“, sagte Ozchan steif.
„Dann hör auf, dir darüber Gedanken zu machen.“
„Aber wie soll ich sonst rauskriegen, was sie vorhat? Wie soll ich herauskriegen, mit wem sie zusammen ist, was sie tut – und mit wem?“
„Oho!“ sagte Quilla.
„Hör auf. Weißt du, sie war keine Jungfrau mehr.“
„Das hätte mich auch überrascht. Du etwa?“
„Darum geht es jetzt nicht. Wenn sie vor mir jemanden hatte, kann sie auch jetzt jemanden haben.“
„Und?“
„Das ist Untreue!“
„Was ist denn Treue?“ sagte Quilla bestimmt. „Gib deinen finsteren Blick auf und hör mir zu. Warum willst du der Liebe Grenzen setzen? Ist man untreu, wenn man
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