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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Wand aus Haß, Gepolter und Dreck, aber du wirst es trotzdem nicht los. Soll ich dir sagen, um was es sich dabei handelt?“
    „Na los“, sagte Mish sarkastisch. „Mein Geburtsdatum? Mein Leibgericht? Tabor?“
    Hoku schüttelte den Kopf. „Er hätte warten können“, sagte sie freundlich. „Er hätte auf mich warten können. Er ist gegangen, ohne ein Wort zu sagen.“
    Mish fing an zu weinen. Sie blieb mitten im Raum stehen, ließ die Schultern hängen, während ihr ganzer Körper von einem stummen Schluchzen geschüttelt wurde. Hoku brachte sie zum Sofa und nahm neben ihr Platz. Mishs Augen füllten sich mit Tränen, und Hoku wiegte sie in ihren Armen und murmelte beruhigende Worte in ihr grau werdendes Haar.
     
    Am Nachmittag brachte Klein, der Tischler, Jasons Leichnam zum Anwesen und bahrte ihn in seinem Sarg im Wohnzimmer auf. Er hat gute Arbeit geleistet, dachte Quilla. Er hatte Jasons Haar mit ein paar grauen Strähnen versehen und ihm Falten ins Gesicht geschminkt. Er sah nun wieder so aus, wie es seinem wirklichen Alter entsprach. Die Bewohner Havens kamen leise an die Tür, brachten Kränze, sahen traurig aus und gingen hinein. Im Wohnzimmer starrten sie auf die hölzerne Kiste, die auf einer grobgewebten Decke stand. Tabor saß in einer Ecke. Hin und wieder setzte er die Flöte an die Lippen, aber bevor er auch nur einen Ton gespielt hatte, steckte er sie stets wieder weg. Auch die Eingeborenen kamen: Palen und ihre Kinder, Teloret und Puti. Auch der betagte Altemet, der von seinen gleichaltrigen Freunden gestützt wurde. Köchinnen und Feldarbeiter waren da und standen Schulter an Schulter mit menschlichen Bauarbeitern, Farmern und Zimmerleuten. Ved Hirem saß neben dem Sarg, ohne sich zu bewegen. Er döste still vor sich hin, wobei sein Kopf auf der Seite des Sarges ruhte. Hin und wieder zuckte er zusammen, sah sich mit verschreckten Augen um und starrte dann wieder auf die Kiste, bis ihm erneut die Augen zufielen und er wieder schlief. Simit, nun der Rektor der beiden Schulen von Haven, brachte seine Schüler mit, die nacheinander an dem Sarg vorbeigingen und Jasons stilles Gesicht, seine gefalteten Hände und die alte Steppdecke seines Bettes musterten, die ihn nun bedeckte. Quilla sah den Leuten zu, die durch das Wohnzimmer gingen, und ihr wurde zum erstenmal klar, daß Jason für diese Leute ein Idol darstellte. Er hatte sie zu sich genommen, als ihre eigene Welt sie nicht mehr hatte haben wollen; er hatte sie geführt, ihnen Ratschläge erteilt und ihnen ein Heim und Land gegeben, auf dem sie etwas anpflanzen konnten. Sie hatten ihm eine Zukunft zu verdanken, die sie im Gegensatz zu früher mit Freude erfüllen mußte. Die meisten der Erwachsenen erinnerten sich daran, wie Jason sie in jenem hungererfüllten, kalten Winter aus einem Lager befreit hatte und mit ihnen über die Zäune gesprungen war. Er hatte sie durch die verschneite Landschaft zu Hetchs Zubringern geführt und Kinder, Alte und Kranke getragen. Und er war erst mit dem letzten Boot wieder verschwunden. Jason Kennerin war ihr Retter und ihr Freund gewesen.
    Und Quilla erinnerte sich an ihn als einen Mann, in dessen Liebe sie ihre Kindheit verbracht hatte, auch wenn er sich später, als sie älter geworden war und ihn am meisten gebraucht hatte, zu oft um andere Dinge gekümmert hatte. Zu oft, wenn sie es recht besah. Sie sah in ihm einen Mann, den man selten zu Gesicht bekommen hatte. Sicher, er hatte immer einen guten Rat für sie gehabt, wenn auch meistens ein wenig zu spät. Möglicherweise hatte er die eine Familie vernachlässigt, um der anderen, größeren beistehen zu können. Vielleicht hatte er damit sogar recht gehandelt. Dennoch kam sie nicht umhin, als sie von einem Zimmer ins andere ging, an seinem Sarg stehenzubleiben und den Versuch zu wagen, aus seinem stillen Gesicht und seinen ebenmäßigen Lippen eine Antwort abzulesen. Die Leute kamen und gingen, sprachen leise miteinander. Quilla nahm ihre Beileidsbekundungen und Blumen entgegen, dankte ihnen im Namen ihrer Mutter und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Erneut berührte sie ihren toten Vater und stellte sich stumme Fragen.
    Jes und Ozchan standen sich am Eßzimmertisch gegenüber und sahen sich an. Quilla blieb an der Tür stehen und beobachtete sie.
    „Wenn Sie nicht tatenlos zugesehen hätten, Doktor, wäre mein Vater noch am Leben“, sagte Jes mit stiller Boshaftigkeit.
    „Vielleicht sollten Sie sich erst einmal um die Wahrheit kümmern, bevor Sie jemanden

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