Die Flüchtlinge
anklagen.“
„Ich glaube nicht, daß Sie die Wahrheit aussprechen können“, erwiderte Jes. „Ich glaube nicht einmal, daß Sie es überhaupt wollen.“
„Der Große Raumschiffkapitän“, höhnte Ozchan. „Stets darauf gedrillt, Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde zu fällen. Da weiß man natürlich immer, was gerade wo vor sich geht. Und zwar genauestens.“
„Was versuchen Sie vor mir zu verbergen?“
„Nichts. Jedesmal, wenn wir versuchen, mit Ihnen zu reden, hören Sie drei Wörter lang zu und drehen dann durch.“
„Hör zu, Außenweltler“, knirschte Jes und packte über den Tisch hinweg nach Ozchans Kehle.
„Jetzt reicht es aber“, sagte Quilla. Die beiden wandten sich nach ihr um. „Wollt ihr, daß ganz Haven euch hört?“
„Vielleicht wäre das nicht das Schlechteste“, sagte Jes.
Quilla machte die Tür hinter sich zu. „Erinnerst du dich an ein paar grüne Hosen und ein Hemd, Jes? Am zehnten Anfangstag? Erinnerst du dich daran, wie man dich mit Taine aufgezogen hat?“
„Na und?“
„Du weißt es noch?“
„Natürlich weiß ich das noch. Es war Meya. Aber was, zum Teufel, macht das für einen Unterschied?“
„Trink einen Schluck, reg dich ab und sprich mit ihr!“
„Quilla …“ sagte Ozchan drängend.
Sie brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen. „Na geh schon“, sagte sie zu ihrem Bruder. „Und hör ihr zu. Sie wird es dir sagen.“
„Sie ist mit dieser Schlange verheiratet“, sagte Jes.
„Das macht keinen Unterschied. Wenn du uns schon nicht zuhören willst, dann vielleicht ihr. Du brauchst ihr ja nicht zu glauben. Aber anhören könntest du sie wenigstens.“
Jes schaute von Quilla zu Ozchan. Dann sah er seine Schwester wieder an.
„In Ordnung“, sagte er schließlich. „Wo ist sie?“
„Im Badehaus. Und wenn du mit ihr fertig bist, dann bring sie mit.“
Jes ging hinaus.
„Er wird sie umbringen“, sagte Ozchan und lief auf die Tür zu. Quilla versperrte ihm den Weg.
„Das wird er nicht tun.“
„Laß mich raus. Ich will dabeisein. Sie wird Hilfe brauchen.“
„Das wird sie nicht. Kümmere dich besser um Mish.“
„Und wenn er ihr etwas antut?“
„Dann stehe ich dafür gerade. Behalte meine Mutter im Auge. Sie braucht dich mehr als Meya.“
Ozchan machte eine frustrierte und wütende Geste und ging ins Wohnzimmer.
Mish saß am Kopfteil des Sarges. Ihre Augen waren offen und tränenleer. Hätte die leichte Auf- und Abbewegung ihres Busens nicht gezeigt, daß sie atmete – man hätte sie für eine Statue oder eine Tote halten können. Ozchan legte vorsichtig die Hand auf ihren Hals, als suche er nach ihrem Puls, und warf einen Blick in den Sarg. Quilla ging hinaus.
Mim legte einen dichten Schleier über ihr Gesicht und weigerte sich, ihn wieder abzulegen. Sie sah aus wie ein Gespenst und verstörte mehrere der Aeriten, die in die Küche gekommen waren, um dort ihre Geschenke abzuladen. Quilla wartete eine Zeitlang in ihrer Nähe und schaute in das überfüllte Wohnzimmer. Das Korridorlicht fiel durch die offene Tür herein und beleuchtete Mims Gesicht. Obwohl sie steif und aufrecht dastand, weinte sie. Sie wirkte wie der personifizierte Kummer, vom Licht angestrahlt. Auf Neuheim war sie durch den Schnee auf Hetchs Zubringereinheiten zugestolpert. Sie hatte nichts mehr besessen als die Holowürfel ihrer Verwandten und Freunde, von denen keiner mehr am Leben war. Als die Würfel ihr in den Schnee gefallen waren, hatte Jason sie aufgesammelt, in die Tasche gesteckt und Mim an Bord getragen. Auch für sie war Jason ein Held gewesen.
Am nächsten Morgen wurde er auf dem kleinen Friedhof auf einem Hügel östlich von Haven beigesetzt. Sein Grab überschaute die Ortschaft, das Anwesen und den weiter südlich liegenden Stall und die Getreide- und Zimania -Felder. Kayman Olet, der einzige Prediger Havens, sprach ein paar Worte, die der aufziehende Wind ihm von den Lippen riß, die Leute senkten den Kopf, einige weinten, dann wurde Erde auf den Sarg geworfen, und alles war vorüber. Jes stand da und hielt Meyas Arm. Er blickte Quilla entschuldigend an. Sie nickte, aber dann bemerkte sie, daß Jes Ozchan den Rücken zuwandte. Als Ozchan auf dem Rückweg Meya bei der Hand nahm, entfernte er sich rasch von ihnen.
Im Garten ihres Anwesens blieb Mish stehen und schaute nach Süden. Die grauen Wolkenbänke erstreckten sich noch immer über den ganzen Himmel, aber der Regen hatte aufgehört.
„Es ist beinahe Frühling“, sagte
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