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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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sah sie an und schüttelte den Kopf. „Wenn wir in diesem Winter etwas gelernt haben, dann dieses eine, daß Menschen sich schneller ändern, als man zu erwarten bereit ist.“
    „Heißt das, wir sollen Jes’ Gemeinheiten tolerieren und zur Tagesordnung übergehen?“
    „Wenn nötig, ja.“
    „Und wenn es Meya verletzt? Oder ihre Ehe zerstört?“
    „Wieso zeigst du plötzlich Besorgnis über den Bestand von Ehen?“
    „Es geht nicht um Ehen allgemein. Ich denke eher an Meyas und Ozchans Ehe. Und an uns. Und Jes.“ Sie hielt inne. „Da braut sich was zusammen, Tabor. Glaubst du, du könntest … Ich meine …“
    „Mit ihm sprechen? Ihm seine dunklen Geheimnisse entlocken? Ihm die Pistole auf die Brust setzen?“
    „Mutter im Himmel, wie sich das anhört!“
    Tabor kicherte. „Ich rede mit ihm. Ich kann dir zwar nicht versprechen, daß daraus ein Verhör wird, aber reden kann ich mit ihm – vorausgesetzt, daß er überhaupt mit mir sprechen will.“
    „Ich hoffe, ich verlange nicht zuviel von dir.“
    „In diesem Fall nicht.“
    „Und in anderen Fällen?“ Quilla grinste. „Nehmen wir doch mal den Fall, heute nacht’.“
    „Aha, ich verstehe! Gehe ich recht in der Annahme, daß Mylady sich zurückziehen will?“
    „In der Tat. Und zwar in die Einsamkeit meines stillen Kämmerleins, wo ich bis zum Morgengrauen bumsen will.“
    „Das ist eine nicht unerhebliche Forderung. Auf jeden Fall muß ich sie in Erwägung ziehen.“
    Quilla drückte den Kopf gegen seinen Unterleib.
    „Das ist eine arglistige Täuschung, Herr Verhandlungspartner. Ich spüre, daß Sie Ihre Entscheidung längst gefällt haben.“
    Tabor seufzte melodramatisch und folgte ihr nach oben.
     
    Jes saß am Fenster von Ped Kohls Bierlokal und starrte finster in den Regen hinaus. Es war Markttag und trotz des elenden Wetters wimmelte es draußen von Menschen. Die Händler hatten ihre Stände mit Markisen versehen, unter denen Obst- und Gemüseberge lagen. Jes sah Regale voller Töpfe und Kannen und große, an Haken hängende Fleischbrocken. Blut tröpfelte auf den nassen Boden. Ein Fischhändler suche sich mit seinem von einem lustlosen Dray gezogenen Fuhrwerk einen Weg durch die Menge. Die Ladefläche seines Wagens war voller schimmernder Fischleiber. Vor einem Gemüsestand hielt das Dray an und muhte verzweifelt. Der hinter der Theke stehende Eingeborene kam auf die Straße und gestikulierte schimpfend mit allen vier Armen.
    Jes bestellte sich ein weiteres Bier und sank in seinem Stuhl zusammen. Meya war beim Schneider und ließ sich Umstandskleider machen. Sie hatte angekündigt, daß sie die nächsten acht Monate genießen wolle. Es war ihm absolut schleierhaft, wieso sie die Aussicht auf einen immer dicker werdenden Leib und ein Balg dermaßen glücklich machen konnte. Er fragte sich auch, wie sie darauf kam, daß die Fehlentscheidungen dieses Winters – ihre Schwangerschaft und Heirat – in Ordnung seien. Verdammte Spießigkeit. Die gesamte Familie krankte daran. Ausgenommen natürlich Mish. Und Hart. Und er selbst. Drei von fünfen. Obwohl ihm klar wurde, daß seine Ansichten in dieser Beziehung unsinnig waren, kam er von dem Gefühl nicht mehr los.
    Mertika, eine von Meyas Freundinnen, brachte ihm sein Bier und versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber Jes zeigte ihr die kalte Schulter. Achselzuckend ließ sie ihn sitzen. Als sie ging, wackelte sie aufreizend mit dem Hintern. Attraktiv war sie ja. Hätte er sich in diesem Moment auf einem anderen Planeten aufgehalten – in einem der zahllosen Häfen –, hätte er gelächelt, sich von ihr anmachen lassen, wäre mit ihr hinauf, hinaus oder sonstwohin gegangen, hätte eine nette halbe Stunde mit ihr verbracht und sie dann niemals wiedergesehen. Aber er war nun mal auf Aerie, in Haven – und sie war Meyas Freundin. Er starrte finster in sein Bier. Es gab nur zwei Alternativen: entweder eine schnelle Nummer oder freundliche Spießigkeit. Keins von beiden behagte ihm.
    Auf dem Marktplatz erklang Geschrei. Das Dray hatte gescheut und den Wagen des Fischhändlers umgeworfen. Während der Händler sich mit dem eingeborenen Gemüseverkäufer in den Haaren lag, wurde er von einer Horde Kinder umringt, die mit den auf der Straße liegenden Fischen Fußball spielten. Einige davon flogen auf den Wagen zurück. Der Fischhändler ließ den Eingeborenen in Ruhe und schrie auf die Kinder ein. Jes sah der ganzen Sache mit einem fast amüsierten Lächeln zu. Plötzlich entdeckte

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