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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Tisch und legte die Arme um mich. Meine große, liebe Tochter. Ich legte den Kopf auf ihre Schulter, sie drückte den ihren gegen meinen, und so standen wir da. Dann ließ ich sie los. Ihre Arme fielen herab. Sie wollte einen Schritt nach hinten machen, aber ich beugte mich vor und gab ihr einen Kuß.
    „Na komm“, sagte ich. „Wir müssen noch die Töpfe scheuern.“
    „Das haben Tabor und Ozchan erst gestern gemacht“, sagte sie und lächelte zurück. „Wir spülen sie einfach und stellen sie weg. Mim merkt das doch nie.“
    Und genau das taten wir dann auch und kicherten dabei wie zwei Kinder, die ein Geheimnis miteinander teilten.
    Es schien ein Abend der Aussöhnung zu sein. Als Jes und Ozchan schließlich wiederkamen – die Kinder und Mim waren längst zu Bett gegangen –, hörten wir ihre Schritte und Stimmen im Korridor und verfielen in Schweigen. Meya schaute unruhig zur Tür.
    „Du hast ja nicht alle Tassen im Schrank“, sagte Jes ärgerlich.
    „Und du einen Nagel in der Kappe“, gab Ozchan zurück.
    Die Vordertür knallte ins Schloß. Meya legte eine Hand auf ihren Bauch.
    „Beweise das, Medizinmann“, sagte Jes.
    Ozchan marschierte herein. Mein Sohn folgte ihm auf dem Fuße. Sie taten so, als seien wir gar nicht da.
    „Hier“, sagte Jes und griff nach dem Handbuch des Westsektors. Ozchan nahm es ihm aus der Hand und fing an, es schnell durchzublättern.
    „Abschnitt zwei“, sagte Jes. „Unter H, falls du es vergessen hast.“
    Ozchan musterte ihn finster und schlug einen anderen Abschnitt des Buches auf.
    „Da!“ sagte er triumphierend. „Zweiundvierzig, fünfundvierzig, siebzehn!“
    „Das muß ich sehen.“ Jes riß ihm das Buch aus der Hand und sah sich die Seite näher an. „Kacke!“
    Ozchan grinste wie ein Honigkuchenpferd und streckte die offene Hand aus. Jes fluchte, griff in seine Hosentasche und brachte drei Münzen zum Vorschein. Mit einem überlegenen Blick nahm Ozchan zwei davon an sich.
    „Ich kann dir nur raten“, sagte er, „nie wieder mit dem Mann zu wetten, der das beste Gedächtnis auf Aerie besitzt. Laß dich niemals mit einem Menschen ein, der nichts vergißt.“
    „Na schön. Und wann ist Meya soweit?“
    Ozchan sah ihn an. Dann runzelte er die Stirn. Jes lachte und klopfte ihm leicht auf die Schulter.
    „Das allwissende Genie“, sagte er dann herzlich. „Der Mann, der niemals etwas vergißt. Oje, Oje! Willst du einen Drink?“
    Ozchan nickte. Er sah immer noch nachdenklich aus. „Meya, wann bist du eigentlich soweit?“ fragte er.
    „Fen Tov Biant Bols“, erwiderte sie.
    „Aha!“ sagte Ozchan. „Deswegen! Ich kann mir bloß diese verfluchten planetaren Daten nicht merken!“ Er brummelte etwas vor sich hin und fing dann an zu lachen. Meya blickte von ihrem Mann zu ihrem Bruder. Sie verstand überhaupt nichts mehr.
    Jes’ Schulter war mit einem Verband umwickelt, und er hatte ein Pflaster auf der Stirn. Ozchans Arm wies Kratzer auf. Er humpelte auf einem Bein. Das also, dachte ich, ist der Grund für ihre plötzliche Kumpanei. Sie hatten versucht, einander umzubringen, und diese Erfahrung hatte ihnen gutgetan. Kinder, dachte ich. Dann fiel mir ein, daß Jes siebenundzwanzig und Ozchan sechsundzwanzig Jahre alt waren.
    Und Quilla zweiunddreißig. Tabor war fast vierzig, die Zwillinge elf – und ich fünfundfünfzig. Was hatte sich nicht alles während meiner Abwesenheit verändert. Ich war viel zu lange fortgewesen.
    Anstatt wie geplant mit Hetch zu gehen, sagte ich Jes, daß er nun der Kopf der Aerie-Kennerin-Gesellschaft sei und schickte ihn in den Raum hinaus. Bevor er ging, tat er etwas Sonderbares: Er küßte Meya und Ozchan, aber beide Küsse schienen mir das gleiche auszudrücken.
    Und er versprach, nach Hart zu suchen.
    Den ganzen Sommer hindurch bekamen wir Berichte. Meyas Umfang nahm zu, und ich lernte meine Familie von neuem kennen. Jes folgte Harts Spur bis zum Gregory/Acanthus-Hauptgreifer, wo er sie wieder verlor.
    Der dortige Greifer diente als Knotenpunkt für fünfundzwanzig verschiedene Planeten und vier Untergreifer; es würde einen beträchtlichen Zeitaufwand erfordern herauszufinden, welchen Weg Hart von hier aus genommen hatte.
    Dennoch war Jes bereit, sich neben seinen anderen Pflichten auch darum zu kümmern. Seine Suche schloß einen Planeten nach dem anderen aus. Die monatlich eintreffenden Berichte enthielten immer mehr Namen, die wir von unserer Liste streichen konnten. Irgend jemand dort draußen glaubte, er lebe auf

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