Die Flüchtlinge
Gefühle teilen.
Das Baby kam bei Sonnenuntergang zur Welt. Es war ein dicker, dunkelhäutiger Junge mit farblosen Augen, wie Neugeborene sie nun mal haben. Meya legte ihn an die Brust, weigerte sich, ihm einen Namen zu geben und schlief ein.
Jason. Mish. Quilla. Jes. Hart. Meya. Decca. Jared.
Tabor. Ozchan. Laur. Mim.
Hoku. Hetch. Tham. Merkit. Bakar.
Palen. Altemet. Drei. Teloret. Cumbe. Kabit.
Ved. Taine. Mertika. Medi. Ped. Wim. Dane. Haley.
Es gab Hunderte von Namen in Haven, auf To’an Cault, auf Aerie.
Sie nannte ihn Jason Hart M’Kale Kennerin.
Was konnten wir anderes tun, als damit einverstanden sein?
Siebenter Teil
1235
Neuer Zeitrechnung
Spider
„Die Dinge sind selten das, was sie zu sein scheinen, selbst saure Milch tarnt sich als Sahne.“
Sir W. S. Gilbert
1
Dicke Steinmauern dämpften das Spektakel auf den Straßen von Saltena. Das Geschrei der Straßenhändler, die Hitze und das helle Licht der Sonne drangen nur mäßig durch das geschlossene Fenster. Der Lärm verminderte sich noch, als Hart die hölzernen Läden vorzog. Das kühle Zwielicht, in dem der Raum nun lag, nahm zu. Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und legte die Hände auf die Platte. Sie umschlossen einen Stapel aus Papieren und Bändern.
Auf der anderen Seite des Tisches befanden sich ein Mann und eine Frau. Sie musterten zuerst den Materialstapel und dann Harts Gesicht. Die beiden hielten sich an den Händen, wobei die Finger des Mannes nervös auf der Handfläche seiner Frau tanzten. Hart legte die Hände auf den Materialstapel. Die beiden zuckten zusammen.
„Ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte er ruhig. „Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie auf diese Idee gekommen sind.“
„Aber Sie haben unsere Tochter untersucht“, protestierte der Mann. „Sie haben sie untersucht, und man hat uns erzählt, daß Sie …“
„Sie haben einem Freund von uns geholfen“, warf die Frau ein.
„Das war etwas anderes“, sagte Hart. Die Frau faltete die Hände auf ihrem Schoß und musterte ihn.
„In Utero“, sagte Hart. „So was muß man vor der Geburt machen. Aber Ihre Tochter ist sieben Jahre alt. Vielleicht könnte ein Exo-Chirurg ihr helfen. Ich kann es ganz gewiß nicht.“
„Und warum haben Sie sie dann hierbehalten?“ sagte der Mann wütend. „Warum haben Sie uns das nicht sofort gesagt? Statt dessen haben Sie uns Hoffnungen gemacht!“
Hart betastete die Papiere und musterte sie kurz. „Weil ich neugierig war. Und weil das, was ich von ihr erfahren habe, anderen vielleicht zugute kommen kann.“ Er machte sich nicht einmal die Mühe, den in seiner Stimme mitschwingenden Zynismus zu verbergen. Er stand auf. „Nehmen Sie das Mädchen mit und gehen Sie nach Hause. Und beim nächsten Mal kommen Sie vor der Geburt zu mir. Vielleicht kann ich Ihnen dann helfen.“
„Aber das wäre illegal“, sagte die Frau leise.
„Nicht illegaler als dies hier.“
Hart brachte die beiden zur Tür. Auf dem mit Platten ausgelegten Innenhof saß ein Kind und betrachtete schläfrig den Springbrunnen. Als die Eltern herauskamen, wandte es sich um. Das Mädchen hatte dunkles Haar, eine blasse Hautfarbe, und – wie Hart selbst – blaue Augen. Die Eltern des Mädchens hielten diese Farbe für ein körperliches Gebrechen, denn auf diesem Planeten hatten die Nachkommen von Aristokraten grüne Augen zu haben. Daß die Augen des Mädchens blau waren, warf einen Schatten auf seine Abstammung und erzeugte innerhalb der Familie Verlegenheit. Hart lächelte der Kleinen über die Schultern der Eltern hinweg zu. Sie sah ihn ausdruckslos an. Sie hielt sich selbst für unnormal.
Die Kleine nahm die Hand ihres Vaters. Hart sah der Familie nach, bis sie durch das offene Tor auf die hitzeflimmernde Straße hinaustrat. Sie verschwanden zwischen dem Gewirr von Gebäuden. Die Häuser standen in Reihen nebeneinander, und ihre weißen Fronten waren dem Staub des Straßenpflasters zugewandt. Schmale Fenster, die ziemlich hoch über der Straße lagen, erschienen in den vom Sonnenlicht übergossenen Wänden wie schwarze Höhlen. Dekorative Eisengitter zierten nicht nur sie, sondern auch die Toreinfahrten.
Ein mageres, schwarzäugiges Kind, das ein Tablett mit gefrorenem Fruchtgelee schleppte, kam näher und flehte Hart an, er möge ihm etwas abkaufen. Er drückte den Jungen zurück, schloß das Gitter und schließlich auch die Holztüren. Dann strich er sich das glatte, schwarze Haar aus dem Gesicht, kehrte auf
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