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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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aller Macht auf ihren unbedeckten Kopf. Der Fluß glitzerte in der Ferne durch die Büsche. Zitternd stellte sie sich aufrecht hin und ging wankend darauf zu. Der unebene Grund ließ sie mehrmals stolpern.
    Sie mußte es Jason sagen. Sie mußte es Mish sagen. Sie mußte es jedem erzählen, damit man ein Ende machte. Es war Grens Schuld, er hatte Hart auf einen schlechten Weg gebracht. Kein anderer als Gren konnte dahinterstecken. Sie würde ihr Gewand säubern und dann sofort nach Hause gehen. Ja, sie würde nach Hause gehen und Jason informieren. Er würde wissen, was dann zu tun sei. Jason würde sich darum kümmern. Er würde Gren für das, was er Hart angetan hatte, bestrafen. Jason würde …
    Sie kam an den Fluß und kniete nieder. Wieder wurde ihr Magen von einer Welle der Übelkeit ergriffen. Die Erde schien sich unter ihr zu drehen. Sie klammerte sich an einen Baumstamm und schloß die Augen. Und so fand sie Hart vor: beschmutzt, müde und verschreckt. Sie musterte ihn, ohne ein Wort herausbringen zu können, und er kniete neben ihr nieder und hatte ihren Einkaufskorb in der Hand.
    „Du hast deinen Korb vergessen“, sagte er sanft. „Es liegt an der Sonne, weißt du? Es ist so heiß, daß das Gehirn manchmal Blasen wirft. Hier, ich helfe dir, dich zu säubern.“
    Sie sah ihm zu, wie er sein Taschentuch in das Wasser tauchte. Zuerst säuberte er ihr Gesicht, dann ihr Kleid.
    „Du solltest wirklich besser auf dich achtgeben“, sagte er während dieser Tätigkeit. „Bei deinem Alter kann dich schon eine Kleinigkeit umwerfen. Du wirst nicht nur vergeßlich, sondern siehst manchmal auch Dinge, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Wahrscheinlich hast du zu lange auf dem Markt herumgestanden. Du solltest Mim einkaufen gehen lassen. Du mußt solche Dinge doch nicht selbst erledigen. Dreh das Gesicht mal ein bißchen zur Seite. Gut. Ich wette, daß Mim sich weigert, solche Arbeiten zu tun, stimmt’s? Es liegt nur an ihr, daß du den weiten Weg in der Sonne machen mußt, denn sie weiß natürlich, wie heiß es ist. Es ist einfach nicht anständig, wie sie dich übervorteilt. So, jetzt geht es einigermaßen. Fühlst du dich jetzt besser?“
    Laur nickte schwach.
    Hart lächelte ihr erneut zu, dann zog er sie hoch. Sie starrte ihn an. Sie wußte nicht mehr, was sie denken sollte.
    „Ich helfe dir, damit du nach Hause kommst“, sagte er. „Du brauchst ein Glas kaltes Wasser und etwas Ruhe. Du solltest besser auf dich achtgeben, Laur. Ich möchte dich nicht verlieren.“
    In seinen Armen kam sie sich winzig vor. Vor ihrem inneren Auge tauchte plötzlich ein Bild auf: Hart, der eine Eingeborene auf den Armen trug. Aber das war Einbildung, dachte sie verwirrt. Ich war zu lange in der Sonne. Hart würde so etwas doch niemals tun.
    „Erinnerst du dich noch daran, wie ich dir einmal deinen Fisch gestohlen habe?“ sagte er. Er trug sie unter den Bäumen her und ging den Hügel hinauf. „Ich muß damals zehn Jahre alt gewesen sein, nicht wahr? Und wie wütend du auf mich warst. Erinnerst du dich daran, Laur?“
    Sie nickte.
    „Daraufhin hast du mir eine ganze Woche lang Fisch vorgesetzt – zum Frühstück, zum Mittag- und zum Abendessen. Mensch, war ich sauer.“ Er lachte. Laur lächelte. Das war lange her. Hart. An allem ist Mim schuld.
    Ein paar Meter vor dem Kücheneingang hielt er an und ließ sie hinunter.
    „Wir sind da“, sagte er. „Du wirst doch niemandem zeigen, daß du einen Schwächeanfall hattest, nicht wahr? Es wäre nicht gut, wenn sie dächten, daß du zu alt wirst. Es könnte passieren, daß Mim dich beiseite drängt, und das wäre nicht rechtens.“
    Laur nickte. Sie richtete sich auf. Hart klopfte ihr auf die Schulter.
    „So ist es richtig. Du gehst hinein, legst dich ein wenig hin, und ich werde kein Wort davon sagen, daß du einen Sonnenstich hattest. Schließlich kann das jedem passieren, der zu lange in der Sonne steht, stimmt’s? Na eben! Während des Festes lasse ich mich mal sehen, und du kannst nächste Woche zu mir herunterkommen und eine Tasse Tee trinken. Ich habe eine gute Köchin; es wird dir gefallen. In Ordnung, Laur? Ist das in Ordnung?“
    Sie nickte unsicher, und er küßte sie auf die Wange, lächelte und ging mit schnellen Schritten den Abhang hinunter auf Haven zu. Laur packte ihren Korb und näherte sich langsam dem Haus. Die Sonne schien ihren Kopf mit einer Trommel zu verwechseln. Ab sofort würde Mim die Einkäufe tätigen. Es war nicht gerecht, daß sie

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