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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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weh.“
    „Tut mir leid, aber ich habe im Moment keine Zeit. Vielleicht nächste Woche.“ Er verschwand im Haus und schloß die Tür hinter sich. Laur hörte, wie er mehrere Riegel vorlegte.
    Das kann nichts Gutes bedeuten, dachte sie. Er tut etwas, das er besser nicht tun sollte. Er bemerkt nicht einmal, wenn er sich selbst in Schwierigkeiten hineinreitet. Sie dachte einen Moment über ihn nach und sah sich dann auf der Straße um. Die viereckigen, ungestrichenen Häuser waren still, und es war niemand in Sichtweite. Laur schlich um die Ecke von Harts Haus. Man mußte ihn beschützen, besonders vor sich selbst. Sie zweifelte nicht daran, daß er irgendeine Schlampe bei sich hatte. Wenn sie ihm in dieser Situation nicht beistand, konnte es passieren, daß er sich über kurz oder lang in einer nicht wünschenswerten Verbindung wiederfand. Ein Skandal war für eine Familie genug. Laur stellte ihren Korb unter einem Baum ab und näherte sich leise dem ersten Fenster. Die Fensterbank lag ziemlich hoch. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte hinein.
    Der erste Raum war kärglich möbliert und befand sich in einem unbeschreiblichen Durcheinander. Harts Bücher und Kleider lagen in den Ecken verstreut. Seine Stiefel standen auf einem Hemdenstapel; auf dem Tisch standen schmutzige Teller und Tassen. In den Wandregalen lagen Hunderte von durcheinandergewirbelten Kassettenbändern. Eine offene Tür gewährte Laur Einblick in die Küche, die sich in einem ähnlich chaotischen Zustand befand. Laur schürzte die Lippen. Aber Hart war doch immer so ordentlich gewesen! Wahrscheinlich war der schmutzige, schreckliche alte Kerl dafür verantwortlich, mit dem er zusammenlebte. Hart mußte sie einfach hereinlassen, und sei es auch nur, um einmal gründlich aufzuräumen. Sie inspizierte die Zimmerecken mit zunehmendem Widerwillen, konnte Hart aber nicht entdecken.
    Sie fand das Schlafzimmerfenster, sah hinein und entdeckte auch dort nur Schmutz, aber keinen Hart. Die Tür zu Grens Zimmer stand offen, aber auch dieser Raum war leer. Verwirrt lehnte sich Laur gegen die Hauswand und öffnete den obersten Knopf ihres Gewandes. Das Haus hatte nur eine Tür; Hart konnte also unmöglich hinausgegangen sein. Erst dann sah sie das kleine Fenster, das sich auf der Höhe des Erdbodens befand. Natürlich, ein Keller. Wenn Hart irgend etwas vorhatte, würde er es dort tun, wo er sicher sein konnte, daß ihn niemand sah. Laur unterdrückte ein Stöhnen, dann beugte sie sich herab, legte sich auf den Bauch und sah durch das Fenster.
    Es war mit einem Vorhang versehen, aber dieser hatte sich am Rand irgendwo festgehakt und erlaubte es ihr so, einen Teil des Raumes überblicken zu können. Laur kroch ein wenig näher heran. Dann hörte sie Stimmen. Da bewegte sich etwas rasch hin und her. Für einen Augenblick sah sie Grens Kopf. Natürlich, Gren würde sich auch da unten aufhalten. Alles, was mit Gren zu tun hatte, war mit Sicherheit etwas, das nichts Gutes hervorbringen konnte. Laur schätzte die Dinge nicht, die ein Mann wie er Hart beibringen konnte. Sie hob gerade die Hand, um gegen die Scheibe zu klopfen, als ein unterdrückter Schrei an ihre Ohren klang. Sofort bekam sie eine Gänsehaut. Grens Gesichtsausdruck zeigte Befriedigung; dann verschwand er aus Laurs Gesichtsfeld. Der Schrei erstarb abrupt. Gedämpfte Stimmen diskutierten miteinander. Laur reckte den Hals und versuchte mehr zu erkennen, aber alles, was sie sah, bestand aus der Kellerecke, die sich direkt unter ihr befand. Jetzt kam Hart in ihr Blickfeld. Er sagte etwas und schwenkte aufgeregt den Arm. Laur kniff die Augen zusammen. Unter dem anderen Arm schien er etwas zu tragen. Als sei er sich ihrer Anwesenheit völlig bewußt, drehte Hart sich nun so, daß sie erkennen konnte, was er in der Hand hielt: einen winzigen Kassie-Säugling. Während er weitersprach, nahm er mit der freien Hand ein Messer und schnitt dem Säugling wie beiläufig den Kopf ab. Das Kleine zuckte und bewegte sich nicht mehr. Hart hielt den winzigen Kopf hoch, zeigte mit der Messerspitze darauf und redete weiter. Schließlich legte er ihn mitsamt dem Körper beiseite, verschwand und kehrte mit einer jungen, weiblichen Eingeborenen zurück, die er auf den Armen trug. Sie war gefesselt und geknebelt und sah mit einem stumpfen Blick zu ihm auf. Hart lächelte sie an und sagte etwas, dann brachte er sie wieder außer Sichtweite.
    Laur zog sich an der Hauswand hoch und übergab sich. Die Sonne knallte mit

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