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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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ausgestattet hatte und für die sie noch Statuen und Friese entwerfen wollte. Das neueste Thema, das in Haven gerade durchgekaut wurde, war die Frage, ob man die Abbildungen, die Eingeborene darstellten, den Statuen zugesellen oder in die kleineren Friese einreihen sollte. Als Angehörige der Kennerins, meinte Laur, sollte sie hierzu keine Ansicht äußern, da ihre Meinung zuviel Gewicht besaß und das Gleichgewicht zugunsten der Minderheit ausschlagen lassen konnte. Deswegen hörte sie sich Medis Epistel schweigend an, nickte dann und wann, zollte der Bildhauerin im allgemeinen jedoch nur wenig Aufmerksamkeit.
    Die lächelnde und zuvorkommende Eingeborene hinter der Ladentheke gab ihr schließlich zwei große Kaveten und einen kleineren Tele-Tele. Der Fisch wurde auf Eis gelegt und in ein Grasmattenbündel verpackt. Dann sah Laur sich nach einem vertrauenswürdigen Kind um. Es schien keines in der Nähe zu sein. Als sie sich an den Rand der Menge begab, um einen besseren Überblick zu gewinnen, sah sie, daß Hart mit schnellen Schritten über den Hauptplatz ging. Er trug ein großes Bündel unter dem Arm.
    „Hart!“ rief sie. Er ging weiter. Laur bahnte sich mit dem Ellbogen einen Weg durch die Menge und rief noch einmal seinen Namen. Seit er vor zwei Jahren das Haus seiner Eltern verlassen hatte, war er stets nur aufgetaucht, um Geld zu verlangen. Beim letzten Mal hatten Hart und Jason sich einen erbitterten Streit geliefert, und Hart hatte geschworen, das Haus nie wieder zu betreten. Laur konnte es zwar kaum ertragen, ihren Liebling nie wiederzusehen, aber er hatte seinen Eid gehalten. Wenn sie versucht hatte, ihn in seinem Haus zu besuchen, war er nie dagewesen. Nun heftete Laur sich an seine Fersen und schimpfte innerlich über ihre Gebrechlichkeit. Als der Markt hinter ihr lag, rief sie seinen Namen noch einmal. Sie hatte den Eindruck, als zögere er diesmal, aber dann ging er nur noch schneller durch die Straßen und verschwand im Gewirr der abgestellten Karren und Zugtiere. Laur preßte die Lippen aufeinander, kehrte in die Fischhandlung zurück, ließ sich die Ware in ihren Korb packen und machte sich mit entschlossenem Schritt auf den Weg zu Harts Haus. Auch wenn er jetzt ein junger Mann von siebzehn war und die Schule hinter sich hatte, besaß er nicht das Recht, sie dermaßen schäbig zu behandeln.
    Laur ging die Stufen zur Vordertür hinauf, schnappte nach Luft und klopfte laut. Das Haus war still. Empört und noch immer außer Atem klopfte sie lauter. Sie wußte, daß er da war; je länger er sie warten ließ, desto wütender wurde sie.
    „Hart, du machst sofort die Tür auf!“ donnerte sie. „Hör mich an. Wenn du nicht aufmachst, dann werde ich …“ Sie machte eine Pause und überlegte sich, welche Drohung wohl am meisten auf ihn wirken würde. Während sie noch zögerte, öffnete sich die Tür mit einem Knirschen, und Hart kam heraus. Er machte die Tür wieder hinter sich zu.
    „Hallo, Laur“, sagte er sorglos. Wie immer war sein Lächeln auch diesmal gleichzeitig charmant und spöttisch, aber Laur war entschlossen, ihren Ärger diesmal nicht herunterzuschlucken. Sie warf ihm einen zornigen Blick zu.
    „Und warum läßt du mich so lange warten?“ fragte sie. „Warum mußte ich dir wie ein Hund durch die Straßen nachrennen? Du willst wohl, daß ganz Haven über mich lacht. Ich bin nicht nur völlig außer Atem, sondern auch zutiefst verletzt. Zumindest eine Tasse Tee könntest du mir anbieten.“
    Hart schüttelte den Kopf. Seine Züge drückten Bedauern aus. „Tut mir leid, Laur, aber im Moment bin ich stark beschäftigt.“
    „Hast du etwa ein Mädchen da drin?“ Laur legte den Kopfschief und maß ihn mit einem durchdringenden Blick. „Das macht doch nichts. Ich würde sie gerne kennenlernen. Schließlich hat die alte Laur doch wohl das Recht, das anzusehen, was du ansiehst, oder etwa nicht? Das kann man nicht von jedem in Haven sagen.“
    „Man kann es von niemandem in Haven sagen“, erwiderte Hart, während der Schalk für einen Moment aus seinem Gesicht verschwand. „Aber nein, ich habe keine Frau bei mir, Laur. Ich bin beschäftigt. Warum kommst du morgen nachmittag nicht wieder? Dann können wir Tee trinken, Kuchen essen und uns gemütlich unterhalten. In Ordnung?“ Er machte Anstalten, die Tür wieder zu öffnen.
    „Morgen ist der Anfangstag“, sagte Laur. „Du weißt sehr gut, daß ich dann keine Zeit für einen Tee habe. Nun mach schon, Schätzchen, mir tun die Füße

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