Die Flüchtlinge
knorrigen Büsche und den Fluß. Ich kann vom Haus ans Wasser gehen, ohne daß mich jemand sieht. Gren versteht noch nicht, wie wichtig das ist.
Ich ziehe mein Hemd aus und bekomme in der kühlen Luft eine Gänsehaut. Die Küchenpumpe versorgt mich mit Wasser. Ich mache es heiß, hole ein paar Eimer und fange an zu schrubben. Ich fange mit dem Vorderraum an. Die Maden, die früher hier gelebt haben, haben ihren üblichen Schmutz zurückgelassen. Alles muß sauber werden. Mish, Jason und Laur werden staunen, wenn sie sehen, wie sauber das Haus ist, in dem Gren und ich leben. Sicher kann nichts Falsches daran sein, einem Jungen zu erlauben, daß er einem alten Mann in seinen letzten Jahren ein wenig zur Hand geht. Nicht in einem so hübschen Haus wie diesem.
Die Küche. Der Korridor. Ausfegen, putzen, trocknen. Ein Akt der Nächstenliebe, der die Kennerins in hellem Glanz dastehen lassen wird. Ja. Und weiter.
Ich lasse jeden herein, außer Quilla. Außer Quilla.
Ich höre auf, stelle die Sachen weg. Ich sehe nach dem Rechten. Ich gehe zu Bett.
Der Kopf tut mir weh.
Ich wollte gar nicht weinen.
Vierter Teil
1226
Neuer Zeitrechnung
Zehn Jahre später
„Fels, der auf Fels trifft, vermag die Liebe besser zu erfahren als sich treffende Blicke oder Lippen. Wir wissen, daß die Liebe bitter ist, und das nicht wenig.“
Conrad Aiken
1
Laur ging den Abhang hinunter nach Haven; der Einkaufskorb hing an ihrem Arm. Über ihr bewegte sich die Mittsommersonne dahin und badete das Land in Wärme. In den vergangenen zehn Jahren war aus der ärmlichen Hüttenansammlung der Ortschaft eine beachtliche Ansiedlung geworden, die über einen Marktplatz, eine Schule und ein Gemeinschaftshaus verfügte. Haven war erfüllt von Leben und inzwischen hatte man sogar ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit den dazugehörigen Ritualen entwickelt. Alles, dachte Laur zustimmend, hat sich verändert, und wenn ich ehrlich bin, zum Besseren hin. Auf den Pflanzungen ging alles seinen gewohnten Gang. Die Felder und Gärten versorgten den Markt mit einem nicht abreißenden Strom von Obst und Frischgemüsen. Die Eingeborenen versorgten Haven täglich mit frischem Fisch, und für die Fleischbeschaffung waren die Ranches auf den Hügeln zuständig. Sie mußte sogar – wenngleich auch ein wenig widerwillig – die Verdienste der am Ortsrand liegenden Brauerei anerkennen. Zumindest war man jetzt nicht mehr vom Kaea, dem fremdartig schmeckenden Gebräu der Eingeborenen, abhängig. Auch der Wein wurde von Jahr zu Jahr besser. Morgen war Nem’mai Biant Meir, der Anfangstag. In diesem Jahr würde das Fest lange dauern und allen etwas bieten, denn dann gedachten die Aeriten jenes Tages, an dem sie hierhergekommen waren. Sie dachten an diesem Tag auch an Jason Kennerin, der sie vor den politischen Verfolgungen ihrer alten Heimat gerettet, und an Mish, die sie durch einen harten Winter und einen schwierigen Frühling gebracht und ihnen ein neues Zuhause gegeben hatte. Es gab für Laur keinen Grund, die Dankbarkeit der Aeriten anzuzweifeln. Daß sie echt war, wußte sie genau.
Auf dem Marktplatz wimmelte es von einkaufenden Menschen, die nach Lebensmitteln und anderen Dingen Ausschau hielten. Laur hob die Schultern, stürzte sich in das Getümmel, nickte Bekannten zu, hielt an, um mit Freundinnen zu klatschen, und gab vor, nichts davon zu bemerken, wenn sich die Menschenschlangen vor der Bäckerei, der Töpferei und dem Gemischtwarenladen rätselhafterweise vor ihr auflösten. Jene kindhaften Nervensägen, über die sie sich gemeinhin am meisten aufregte, heuerte sie an, ihr die Beute über den Hügel zum Anwesen der Kennerins zu tragen. Sie wußte, daß man ihr keine Bitte abschlagen würde, denn einerseits war sie eine Respektsperson, und andererseits wußten die Kinder ganz genau, daß die eingeborenen Köchinnen im Inneren des Hauses mit heißen Würstchen und kühlen Säften auf sie warteten. Freigebig sind sie, die Herren von Aerie, dachte Laur zufrieden.
Beim Fischhändler herrschte der größte Andrang. Laur reihte sich hier ebenso ein wie die anderen Kunden, denn die hinter der Ladentheke stehenden Eingeborenen unterschieden nicht zwischen hohem und niedrigem Volk. Also wartete sie geduldig ab, ließ das Sonnenlicht auf ihr schwarzes Gewand fallen und sich die Knochen wärmen. Die Bildhauerin Medi Lount stand vor ihr, und so klatschten sie eine Weile über die Büros der Aerie-Kennerin-Gesellschaft, die Medi
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