Die Flüchtlinge
auf dem Untersuchungstisch krümmte sich und ließ die Ärztin, während diese ihm das Knie bandagierte, nicht aus den Augen.
„Und schon sind wir fertig“, sagte Hoku und befestigte den Verband. Der dünne Stoff umschloß das Knie und verband sich mit dem Fleisch. „Raus mit dir.“
Das Kind zögerte. „Meine Mutter hat gesagt, Sie würden mir etwas erzählen.“
„Und was?“
„Na, daß ich nicht mehr auf Bäume klettern soll.“ Das Kind sah elend aus.
„Unsinn. Klettere so oft auf Bäume, wie es dir Spaß macht. Aber paß auf, daß du beim nächstenmal nicht auf den Kopf fällst. Besser, du fällst auf die Knie. Und nun Abmarsch!“
Der kleine Patient grinste und eilte humpelnd hinaus. Hoku wusch sich die Hände.
„Du bist doch gar nicht an der Reihe mit deiner Medizin“, sagte sie über die Schulter hinweg zu Laur. „Hast du immer noch Rückenschmerzen?“
„Deswegen bin ich nicht hier“, erwiderte Laur. „Wo ist Quilla?“
„Woher soll ich das wissen? Aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Feldern. Warum?“
„Ich möchte mit ihr reden. Und mit dir auch.“
„Stimmt was nicht mit den Zwillingen?“ fragte Hoku eilig.
„Nein, natürlich nicht. Ich möchte mich bloß unterhalten.“
„Na schön. Dann rede.“
„Mit euch beiden. Zusammen.“
Die Ärztin zuckte die Achseln. „Wenn du willst, komme ich heute abend zu euch hinauf. Im Moment kann ich die Klinik nicht verlassen.“
„Dann nach Sonnenuntergang. Und komm durch den Hintereingang. Und sag niemandem etwas davon – außer Quilla.“
Hoku runzelte die Stirn. „Willst du mir nicht sagen, um was es überhaupt geht?“
Laur schüttelte leidenschaftlich den Kopf und stand auf. „Nein. Heute abend. Und paß auf, verstanden?“
„Laur, geht es dir gut?“
Laur sah die Ärztin an. „Nein. Aber du kannst mir sowieso nicht helfen.“
Hoku streckte den Arm nach ihr aus, aber Laur verließ blitzschnell den Raum. Auf der Straße war es warm. Die Luft war erfüllt von den Stimmen der Menschen und Eingeborenen. Farmer und Heimarbeiter belebten die Straßen und unterhielten sich mit der müden Heiterkeit der Feierabendstunden. Es duftete nach Essen. Laurs Gestalt straffte sich. Ihr fiel ein, daß das Abendessen noch nicht fertig war. Mim und sie würden es heute abend ganz allein zubereiten müssen. Es gibt viel zu tun, dachte sie freudlos. Sehr viel zu tun. Sie ging die Schulstraße hinauf und schlug die Richtung zum Anwesen der Kennerins ein.
Plötzlich war Hart neben ihr und nahm ihren Arm. Sie starrte ihn an. Ihr Brustkorb schmerzte. Er hakte sich bei ihr ein.
„Du bist ja schon wieder in der Sonne“, sagte er mit einem Ausdruck freundlicher Überraschung. „Ich dachte, du würdest von nun an eine ruhigere Kugel schieben, Laur. Ich habe gesehen, daß du aus der Klinik kamst. Bist du krank?“
„Es ist mein Rücken“, sagte sie leise. Sie befeuchtete ihre Lippen und versuchte es noch einmal. „Mein Rücken. Und meine Brust. Beides tut mir weh. Ich mußte zur Ärztin.“
„Ich bin sicher, daß Hoku alles in ihren Kräften Stehende für dich tut.“ Er zupfte an ihrem Arm und versuchte sie in eine andere Richtung zu drängen.
„Ich muß nach Hause! Ich muß das Essen machen, es ist noch viel zu tun. Laß mich gehen. Hart, laß mich meine Arbeit machen.“
Sie zerrte an ihrem Arm, aber er ließ sie nicht los.
„Aber du wirst doch wohl noch Zeit für ein Täßchen Tee haben, oder? Um das Essen werden sich schon die Kassies kümmern, das tun sie doch immer.“
Die Kassies. Laur preßte die Lippen aufeinander. Sie fürchtete sich davor, irgend etwas Verdächtiges auszusprechen, und deshalb gab sie seinem Drängen nach. Als sie sein Haus erreichten, machte sie sich los.
„Ich muß doch nach Hause!“ sagte sie wütend. „Ich habe noch allerhand zu erledigen. Laß mich gehen. Hart; sei ein guter Junge. Du läßt mich doch gehen, nicht wahr?“
Hart grinste. Dann packte er erneut ihren Arm, tat ihr weh und zerrte sie beinahe zur Tür. „Na komm schon, Laur; ich mache einen wirklich großartigen Tee! Und ich habe ein phantastisches Gebäck da, heute morgen frisch gebacken.“ Er schloß die Tür auf und zog sie hinein. Als die Tür hinter ihr mit einem lauten Klicken ins Schloß fiel, zuckte Laur erschreckt zusammen. Sie hatte plötzlich eine Gänsehaut.
„Sieh dich nur um, Laur“, sagte Hart. Er wandte sich um und musterte das Zimmer. Es war zwar nur sparsam möbliert, dafür aber aufgeräumt und sauber. Die
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