Die Flüchtlinge
reicht nicht aus. Du wirst bleiben, bis du diesen Schaden gerichtet hast. An sich sollte ich dir keine Chance mehr geben, aber ich tue es trotzdem. Ich nehme an, daß du das nicht vergessen wirst.“
„Wie?“ Die Eingeborene hob plötzlich den Kopf. „Ich kann aber nicht hierbleiben. Ich muß nach Hause. Ich kann jetzt kein Brot mehr backen.“
„Biara!“ Laur war bis ins Mark erschüttert.
Die Eingeborene legte ihre Schürze ab und warf sie auf den Boden.
„Das tue ich nicht!“ rief sie aus. „Ich hasse dein Brot, deine Küche und dich; ich werde nicht bleiben!“ Sie eilte hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Laur sah ihr mit offenem Mund hinterher.
Die andere Köchin entledigte sich ebenfalls ihrer Schürze, faltete sie säuberlich zusammen und legte sie auf den Tisch.
„Man muß sie verstehen“, sagte sie leise, „und nicht ärgerlich über sie sein.“
„Nicht ärgerlich?“ wiederholte Laur. „Nach dem, was sie getan hat? Darüber soll man nicht wütend werden?“ Sie schien außer sich zu sein.
„Sie hat Probleme. Sie macht sich Sorgen um ihr Kind.“
„Kaien? Der Kleine? Ist er krank? Warum hat sie das denn nicht gesagt? Sie hätte dann doch zu Hause bleiben können. Ich bin doch kein Ungeheuer.“
„Das Kind ist nicht krank.“ Die Köchin verschränkte ihre beiden Armpaare und sah Laur an, ohne mit der Wimper zu zucken. „Vor drei Monaten ist Biaras Sauggefährtin verschwunden, zusammen mit ihrem Ungeborenen. Und jetzt ist Kaien weg. Sie macht sich große Sorgen.“
Laur stützte sich mit der Hand auf der Tischplatte ab und setzte sich auf einen Stuhl. „Sicher sind sie auf der Wanderschaft“, sagte sie mit wenig Überzeugungskraft. „Oder sie besuchen jemanden. Bestimmt kommen sie bald zurück.“
Die Eingeborene schüttelte den Kopf. „Wir haben gesucht. Kaien war erst fünf Wochen aus dem Beutel. Er kann nicht allein auf die Wanderschaft gegangen sein. Und es hat ihn auch niemand mitgenommen.“
Laurs Hände zitterten. Sie steckte sie in die Taschen. Die Eingeborene nahm nun ebenfalls Platz, brachte ihren dicken Schwanz in eine bestimmte Lage und sah sie an.
„Wie viele sind verschwunden?“ brachte Laur schließlich heraus.
„Acht. Biaras Sauggefährtin und ihr Kind. Kaien. Palens Kind. Alanet, die kam, um uns zu besuchen. Zwei Leihkinder und Altemets Jüngster.“
„Und wo stecken sie?“ sagte Laur leise. Die Eingeborene antwortete nicht. Laur stieß einen Seufzer aus, legte die Hände auf den Tisch und ließ den Kopf sinken. „Geh nach Hause, Pao. Ich werde mich selbst um das Brot kümmern. Und sage Biara bitte, daß es mir leid tut.“
Pao strich freundschaftlich über Laurs Haar und ging hinaus.
Laur schloß die Augen. Sofort erschien das Abbild Harts in ihrem Bewußtsein. Schnell verließ sie die Küche. Dennoch ging Hart ihr nicht aus dem Sinn. Er verfolgte sie, wo immer sie auch hinging.
Mir war schlecht an diesem Tag, dachte sie. Ich habe zu lange in der Sonne gestanden. Ich habe mir etwas eingebildet. In Wirklichkeit war es gar nicht da. Ich war krank. Und Hart hat mir geholfen. Er hat sich um mich gekümmert. Hart hat gesagt … Er hat gesagt, ich sei krank.
War ich das?
Sie dachte: Es kann nicht Hart gewesen sein. Es war ganz gewiß nicht Hart, mein kleiner Junge. Man hat ihn auf die schiefe Bahn gebracht. Gren. Hart ist doch nur ein kleiner Junge, immer noch ein Kind. Dahinter steckt kein anderer als Gren.
Hart schnitt dem Kleinen den Kopf ab und lächelte. Laur hielt in ihrer Arbeit inne und legte eine Hand auf ihre Brust.
Mish und Jason haben Schuld. Sie hätten es nicht zulassen dürfen, daß er das Haus verließ. Sie hätten wissen müssen, wozu das führt. Ich habe sie gewarnt, aber sie haben meine Warnungen in den Wind geschlagen. Und jetzt ist er in Schwierigkeiten, und ich muß ihm helfen. Bevor es ernst wird. Bevor man ihm auf die Spur kommt. Ich werde zu ihm gehen und …
Das geht nicht. Er wird nicht auf mich hören. Er wird sagen, daß ich alt und krank und müde bin. Er wird mir einfach gar nicht zuhören.
Kaien. Biaras Kleiner. Palens Kind. Acht Köpfe in diesem Keller? Acht Körper? Hart?
Laur eilte hinaus und übergab sich in die Büsche. Sie kehrte in die Küche zurück, wusch sich das Gesicht und die Hände, nahm ihren Hut und den Mantel, die neben der Tür an einem Haken hingen, und marschierte entschlossen den Abhang hinunter. Sie ging nach Haven.
Hoku bedeutete Laur, in einem Sessel Platz zu nehmen. Das Kind
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